Volumen Paramirum (1524/ 1525)
Das „Volumen Paramirum“ ist eine der meistzitierten Schriften von Paracelsus. Auf 77 Seiten legt er ein Modell zu fünf Ursachen von Krankheiten dar. Bekannt als die „5 Entien – Theorie“ wurde und wird sie in verschiedenster Weise interpretiert und damit jeweils dem aktuellen Wissensstand oder Weltbild angepasst.
Der Begriff „Entien“, im Singular „Ens“, ist eigentlich ein Begriff aus der Scholastik und bezeichnet dort das „Seiende“. Paracelsus verwendet ihn hier im Sinne von „Ursache“ oder „Grund“ und pflegt in dieser Schrift einen spielerischen Umgang mit diesem Wort. Nicht nur die fünf Krankheitsursachen, auch andere Naturphänomene werden so genannt.
Der junge Paracelsus richtet sich in seiner Schrift an seine ärztlichen Kollegen, um ihnen seine außergewöhnliche Medizintheorie nahezulegen, mit der er die traditionelle Lehre grundlegend in Frage stellt. Unnötig festzustellen, dass auch dieses Werk erst nach seinem Tod publiziert wurde, sich aber dann einer gewissen Popularität erfreute.
Obgleich die Kategorisierung der Krankheitsursachen in fünf „Entien“ fortan nie wieder in dem paracelsischen Werk auftauchte, durchziehen die zugrunde liegenden Erklärungsmodelle in Variationen die medizinischen, naturphilosophischen und theologischen Theorien des Paracelsus. Das „Volumen Paramirum“ ist darüber hinaus vergleichsweise verständlich geschrieben und eignet sich auch deshalb als Lektüre für den an paracelsischen Ideen interessierten Leser.
Prolog
Die Einleitung umfasst 13 Seiten und ist in 10 Abschnittte („prologus“) gegliedert. Hier bereitet er den Leser auf die Neuartigkeit seiner Sichtweise vor.
Gleich zu Beginn konstatiert Paracelsus, dass alle Krankheiten „in fünfferlei weg geheilt werden“ können, woraus sich die Existenz von 5 Arzneien und 5 Ärztekategorien ergibt.
Diese Einteilung hat nichts mit der damals üblichen Trennung zwischen Leib- und Wundärzten zu tun, die Paracelsus nochmal ausführlich erläutert. Wundärzte (Chirurgen) sind für sichtbare äußere Wunden zuständig ist; der Leibarzt für alle anderen „unsichtbaren“ Krankheiten. Vielmehr ist es in der paracelsischen Kategorisierung so, dass jeder der 5 Ärztetypen gleichzeitig Leib- und Wundarzt sein sollte.
Er listet nun die 5 Heilmethoden auf, deren Vertreter er als „Sekten“ bezeichnet.
Die erste Sekte nennt er „naturales“ und meint die studierten Ärzte, die scholastisch-medizinischen Lehrmeinungen folgend, entsprechend der Humoralpathologie „ein jedtliches durch sein widerwertiges (…) vertreiben“. Dieser „Sekte“ dürfte sich „der normale“ Arzt, für den der Text ja geschrieben war, zuzählen. An dieser Stelle findet sich noch keine Fundamentalkritik an der Universitätsmedizin, die Anlass geben könnte, nicht mehr weiterzulesen.
Die zweite Sekte sind die „specifici“, die „Experimentatores“. Es scheint sich hier um die nach heutigen Gesichtspunkten „naturwissenschaftlich“ interessierten Zeitgenossen unter den Ärzten zu handeln. Sie heilen durch die leider nicht näher erklärte „formam specificam“. Die weitere Wortwahl – sie „purgiren“ (reinigen) – weist darauf hin, dass es sich um Alchemisten handeln könnte. Als Bild für den Heilungsvorgang wird der Magnet herangezogen. „Der Magnet zeucht Eisen an“, wobei es sich nach heutigen Kategorien um einen physikalischen Vorgang handelt.
Die dritte Sekte macht durch Worte gesund! Sie nennt Paracelsus „charakterales“.
Die vierte Sekte sind die „spiritales“. Sie sind Gebieter über die Geister der Kräuter und Wurzeln, durch die diese Ärzte die Krankheiten bezwingen!
Die fünfte Sekte, die „fideles“, heilen Krankheiten durch den christlichen Glauben.
In der Tat kann und konnte sich der dies lesende Arzt auch in mehreren „Sekten“ wiederfinden. Wenn auch keine Zaubersprüche verwendet werden, welcher Arzt redet seinen Patienten nicht gut zu und wendet keine Kräuter – oder chemische Heilmittel – an? Einer engagierten ärztlichen Leserschaft wird so der Zugang zu seinen Theorien erleichtert.
Paracelsus betont, wie wichtig es für alle Ärzte ist, diese 5 Sekten zu verstehen, damit sie in der Praxis wissen, was sie tun.
Im zweiten Teil seines Prologs wird der Ton seiner Kritik an den zeitgenössischen Ärzten schärfer. Er betont, sich nicht vor den Pflug der konventionellen Lehrmeinungen spannen zu lassen und gibt seinem Missfallen über die Praktiken der „irrenden und unerfarenden“ Kollegen Ausdruck. Im Ergebnis stirbt die Mehrzahl der Kranken, weil im Speziellen die „Sekte Naturalis“ – die studierten Ärzte – die anderen vier Sekten aus Unverständnis verwirft.
Diese drastische Einlassung leitet die Erläuterung einer Komponente seiner Theorie ein, die damals wie heute eine Herausforderung für den Leser darstellt. Denn tatsächlich kann jede der fünf Entien jede beliebige Krankheit verursachen. Demzufolge gibt es also z.B. fünferlei Pest, fünf Wassersüchte, fünf Gelbsüchte u.s.w. Wichtig ist es zu beachten, was genau davon den Leib vergiftet hat, sonst ist der Arzt blind!
Paracelsus listet nun stichpunktartig die fünf Entien auf. Es fällt auf, dass nicht jedes Ens ohne weiteres einer der fünf „Ärztesekten“ zuordenbar ist. Die Reihenfolgen in der Aufzählung entsprechen sich nicht. Es bedarf schon einer Eigeninitiative des Lesers, um die Paare zu kombinieren.
Das erste Ens ist „Ens Astrorum“, das zeigt, wie die Gestirne auf unsere Körper wirken. Das zweite ist das „Ens Veneni“, das hier nicht näher erläutert wird, aber – um vorweg zugreifen – die Gifte in unserer Nahrung behandelt. Im „Ens Naturalis“ macht sich der Körper durch seine eigene „Verirrung“ selber krank. Das „Ens Spirituale“ identifiziert Geister anderer Menschen als Ursache für die Schwächung des Leibes. Das fünfte Ens ist das „Ens Dei“, das – wie später erläutert wird – die Krankheit als Strafe Gottes versteht.
Das letzte Ens entspricht eindeutig der fünften Sekte „Fideles“. Ärzte heilen durch den Glauben, die als göttliche Strafe geschickte Krankheit. Das „Ens Naturalis“ und die Sekte „Naturalis“ dürften wohl zusammengehören. Hier hätten wir – im weitesten Sinne – Humoralpathologen und die „Verirrung“ des Körpers aus sich heraus. Auch das „Ens Spirituale“ und die Sekte „Spiritales“ teilen sich den Namen. Nur dass es sich bei diesen Ärzten um Spezialisten für Kräutergeister handelt, die auch in der ausführlichen Beschreibung des „Ens Spirituale“ gar nicht auftauchen. Dort ist allein von den Möglichkeiten des menschlichen Geistes die Rede, der andere Menschen z. B. über das Medium der Wachspuppe schaden kann.
Nun bleiben noch die Ärzte, die durch Wort heilen und die Ärzte namens „specifici“ („Experimentatores“), die „purgieren“. Von den Entien hätten wir noch das „Ens astrale“ – die Wirkung der Gestirne und das „Ens veneni“ – die Gifte in der Nahrung als Krankheitsursache. Mit der „Heilung durch Worte“ der „Sekte Charakterales“ assoziiere ich einen magischen Vorgang. In anderen Werken beschreibt Paracelsus Magie als eine Technik, mit der Kräfte der Gestirne auf die Erde gezogen wird. Möchte man für jede der fünf Sekten das entsprechende Ens finden, würden also „Ens Astrale“ und die Ärztesekte „charakterales“ gut zusammen passen. Die Ärzte „Specifici“ blieben dann noch für das „Ens Veneni“ übrig. „Purgierende“ also „reinigende“ Ärzte, die sich möglicherweise für Alchemie und durch den Magen aufgenommene Gifte interessieren, bilden auch eine elegante Entsprechung.
Paracelsus verliert – wie gesagt – über Entsprechungen der fünf Ärztesekten zu den fünf Entien kein Wort. In der Position der Aufzählung entsprechen sich nur jeweils die letzten Punkte – die „Sekte fideles“ und das Ens Dei auf der Position fünf. Schwer zu sagen, ob eine Eigeninitiative des Lesers hinsichtlich einer Zuordnung von Paracelsus gewollt ist. Die Zuordnungen sind insofern interessant, als dass sich hier ein Hinweis auf die spezifischen Heilungsmethoden finden könnte. Wie Paracelsus auch selbst immer wieder betont, geht es in dem vorliegenden Schriftstück nämlich einzig und allein um die Krankheitsursachen.
Im Anschluss an die Aufzählung der fünf Entien, appelliert er an seine Leserschaft sich nicht über diesen Prolog zu wundern. Er erinnert die Ärzte daran, dass mitunter Fieberrezepte nichts nutzen, einfach weil es nicht nur 70, sondern 5 mal 70 Fieber gibt. Es gibt halt nicht nur das Ens Naturale, sondern auch noch 4 andere mögliche Krankheitsursachen! Ist beispielsweise das Gestirn die Krankheitsursache „Arztneyet ihr wie ihr wollt, gebt ihm die Apothecken zu essen, es ist alles vergebens“.
Paracelsus schließt den Prolog mit der Feststellung, dass die ersten vier Ens „heidnisch“ sind und nur das letzte Ens christlich fundiert ist. Darüber soll man sich keine Sorgen machen, die heidnischen Lehren schaden unserem Glauben nicht, viel mehr schärfen sie unsere Fähigkeiten. Auch wenn wir als Christen geboren sind, sollte doch die „paganische Arbeit“ uns nicht zu mühsam sein.
„De ente astrorum“ (Von den Gestirnen als Krankheitsverursacher)
In dem Traktat zu den Gestirnen als Krankheitsverursacher räumt Paracelsus grundlegend mit den damals gängigen astrologischen Vorstellungen auf, demzufolge die Planeten „nach ihren Eigenschaften“ den Menschen erschaffen („naturen“) und beeinflussen. Vielmehr bewegen sich Planeten und Menschen frei und unabhängig voneinander. Trotzdem gibt es eine Form des Einflusses – nur ganz anders, als man denken würde …
Gegen zeitgenössische astrologische Paradigmen argumentiert Paracelsus mit der Körperlichkeit des Menschen, deren Erschaffung ohne jeden Beitrag der Gestirne vonstatten gegangen ist. „Kinder werden auch ohne Sterne geboren“ ist seine These. Den Urgrund des Vorgangs der körperlichen Entstehung nennt Paracelsus „Ens Seminis“. Zum andern haben Sterne auch auf Wesenszüge der Menschen keinerlei Einfluss.„Einer ein Melancholicus, der ander Cholericus: Einer treu, der andere untreu…“ Hier benennt er vielmehr ein „Ens Proprietatis“ als Ursprung der Charaktere.
Sterne machen also nichts an unseren Körpern, unseren Farben, Gebärden, Tugenden und Eigenschaften.
Auch wenn die „Judicia gesetzt dem menschen, auff die Natur der Sterne“ schon lange praktiziert wird, findet Paracelsus diese Sichtweise lachhaft. Er möchte darüber auch gar nicht weiter diskutieren, weil das zu viel Tinte verbrauchen würde. Es ist einfach so: Sterne „naturen“ nichts. Saturn sagt nichts über die Länge eines Lebens aus und nur weil Mars grimmig ist, war Nero nicht dessen Kind! Mensch und Gestirn können zwar die gleiche Natur haben, aber keiner hat sie vom andern übernommen. Dass die „Natur“ der Planeten assoziierte menschliche Wesenszüge sind, thematisiert Paracelsus nicht.
Dennoch könnten wir ohne die Gestirne nicht existieren. Als Beispiel nennt Paracelsus die Sonne, die den Acker wärmt, wodurch ein Same, aufgrund des innewohnenden „Ens Seminis“, zu wachsen beginnen kann. Dieser Vorgang hat nichts mit der Sonne als Gestirn zu tun – es ist allein die Wärme in Verbindung mit Zeit, die das Wachstum auslöst.
Ähnlich verhält es sich mit dem Kind im Mutterleib. Es braucht keinen Stern, sondern nur die Gebärmutter. An der Stelle illustriert Paracelsus nochmal anhand von Beispielen, dass Sterne auf Menschen trotz charakterlicher Ähnlichkeiten keinen Zugriff haben. Sieht man zwei zornige „Kriegsmänner“, kann man nicht sagen wer wen „naturet“. So wie auch bei Zwillingen keiner das Aussehen vom andern hat.
Von daher helfen auch Bücher nicht weiter, die Ratschläge geben, wie man den Einflüssen der Gestirne widerstehen kann. „sie (die Planeten und Tierkreiszeichen)sind frey für sich selbst und wir frey für uns selbst.“
Wir könnten aber ohne Wärme und Kälte nicht überleben, da die Dinge, die wir essen und trinken z.B. von Temperaturen abhängen. Hier gibt Paracelsus schon einen Vorgeschmack, wohin die Reise bezüglich der wahren Funktionsweisen der Sterne noch führen wird. Zunächst verbraucht Paracelsus aber doch noch etwas an Tinte, um astrologischen Paradigmen zu widersprechen.
So kann bspw. ein Kind unter noch so guten Sternen empfangen oder geboren worden sein, wenn seine Veranlagung – Paracelsus sagt hier „sein Blut“ – böse ist, bewirken die Sterne gar nichts. Umgekehrt verhält es sich auch so. Und es kann auch passieren, dass „gut und gut“ oder „bös und bös“ zusammen kommen, was aber nicht den Sternen als Ursache angehängt werden kann.
Auch die Geschicklichkeit des Leibes oder Glück bezüglich Künste, Reichtum und Macht ist nicht vom Gestirn. Vielmehr kommt das Glück aus der Geschicklichkeit und diese wiederum aus dem Geist! Jeder Mensch hat einen Geist, „der geschickt auff ein ding“ist, woraus sein persönliches Glück entsteht. Woraus sich folgern ließe – was Paracelsus allerdings so konkret nicht schreibt – dass jeder Mensch seines Glückes Schmied ist.
Dass kein Mensch einem anderen gleicht, scheint ein anderes Argument der zeitgenössischen Astrologie gewesen zu sein. Dem setzt Paracelsus ein von Gott geschaffenes „Ens Femini“ entgegen, das eine Unzahl verschiedener Menschen bewirkt. Wenn dann alle Menschen geboren worden sind und nur noch jemand auf die Welt kommen kann, der einem anderen gleicht, ist die Welt „aus“ (vorbei) und das Jüngste Gericht kann beginnen.
Nachdem Paracelsus erklärt hat, was die Sterne nicht bewirken, kommt er jetzt zu seinem Hauptanliegen – seiner ganz persönlichen These, wie und wodurch die Sterne auf uns und unsere Umwelt Einfluss nehmen.
Das Ens Astrale ist unsichtbar, aber erhält Lebendiges am Leben. Zur Veranschaulichung dieser Kraft, nennt er das Feuer, das Holz zum Brennen braucht. Das Feuer entspricht unserem Leben, das Holz unserem Leib. Damit der Leib – anders als das Holz – nicht von dem Leben verzehrt wird, braucht es eine Kraft, die Paracelsus etwas ominös „M.“ nennt. Dieses M. ist weder von dem Firmament geboren, noch vom Firmament geschickt; vielmehr hält M. das Firmament zusammen. Und nicht nur den Sternenhimmel, sondern alle Geschöpfe in Himmel und Erden „leben auß ihm“.
Dieses M. stellt eine Basisannahme dar, auf die die im folgenden entwickelte Theorie zum Ens Astrale aufbaut. M. ist eine einzig für diese Schrift konzipierte Hilfskonstruktion, die nie wieder in einem paracelsischen Werk auftauchen sollte.
Dieses M. wirkt auf uns, wie die Luft einer Stube auf einen Besucher. Der „geschmack“ der Stube – womit wahrscheinlich Geruch und Raumatmosphäre gemeint sind – kommt nicht aus der Luft, sondern rührt von dem Bewohner der Stube her. Die Luft der Stube kann krank oder auch gesund machen. So verhält es sich auch mit M.. Es kann vergiftet und verändert werden und Auswirkungen auf unseren Körper haben.
Mit den Astra verhält es sich nun so, dass sie untereinander so verschieden sind wie die Menschen. Sie sind gut oder auch böse und umgeben die Welt wie die Schale ein Ei. Aber durch die Schale diffundiert Luft in Richtung Zentrum der Welt. Sind die Astra vergiftet, so vergiften sie die Luft. In die Regionen, wo das Gift hinkommt, werden Krankheiten geboren, je nach Eigenschaften des Sterns. Dabei wird nicht die ganze Luft verseucht, sondern nur ein Teil, so dass die Auswirkungen nur lokal begrenzt sind.
Gifte, aber auch „gütige“ Ausdünstungen der Sterne beschreibt Paracelsus als „geruch, dunst, schweiß von den Sternen“. Erstaunlicherweise dünsten Sterne auch Qualitäten wie Kälte, Wärme, Trockenheit und Feuchte aus! Später sollte Paracelsus diese Theorie der „Wettersterne“ in seinem kleinen Werk „Liber meteorum“ noch detaillierter ausformulieren. Eine paracelsische Vorstellung, die allenfalls noch in der anthroposophischen Landwirtschaft Anklang findet, die aber – im Gegensatz zu Paracelsus – durchaus auf astrologische Konstellationen achtet.
Auf diese Weise vergiften die Sterne das „M.“, wodurch wiederum unsere Körper geschwächt werden können, wobei aber nicht alle Menschen gleichermaßen anfällig dafür sind. Glücklicherweise gibt es Arznei, „die da widerstehet den verfälschten dünsten der Obern“, die Paracelsus allerdings nicht weiter beschreibt.
Zur weiteren Veranschaulichung des „M.“ zieht Paracelsus einen Weiher heran, der fischreich ist, solange das M. sich in einem dafür günstigen Zustand befindet. Wird das M. jedoch durch den Einfluss der Sterne zu kalt oder auch zu heiß, so sterben die Fische.
Es gibt noch unzählige andere Astra, die das M. „säuern, bittern, süßen, rässen, arseniciren (…) auf viel hunderterley gustum“. Aus den Astris strömen mehr Gifte, als es auf Erden gibt. Und Gifte sind ein jeder Krankheit Anfang. Z.B. verursachen arsenische Gifte mehr als 2 x 50 Krankheiten, die alle verschieden sind. Noch viel mehr Krankheiten resultieren aus Salzen, Quecksilber, „Realgar“ (rote Arsenblende) und Schwefel. An der Stelle fällt auf, dass Paracelsus offensichtlich zu dem Zeitpunkt noch nicht seine berühmte „drei Prinzipien Theorie“ entwickelt hat, nach der alle materiellen Erscheinungen aus dem Zusammenspiel der Prinzipien Salz, Quecksilber und Schwefel zu verstehen sind. Aber zusammen mit dem Realgar werden diese Substanzen hier schon explizit hervorgehoben.
Sterne können durch ihre „Exaltation“ (Überhöhung) das M. durchdringen und sich nachteilig auf unsere Körper auswirken. Berührt beispielsweise die „Exaltation“ der „Arsenisch Sternen“ einen See, so ist das ganze Wasser vergiftet. Sieht man Fische, die sich an einer Stelle sammeln, um unvergiftetes Wasser zu suchen, so werden auch die Menschen krank. Am Ende sind nicht nur Fische und Menschen vergiftet, sondern auch „die frucht der feldern, und alles das da lebet.“
Unser Körper ist wie ein See, unsere Glieder und Organe sind wie Fische. Die verschiedenen Gifte wirken jeweils auf unterschiedliche Körperteile. Die „realgarischen“ schaden dem „Geblüt“, Quecksilber dem Kopf, salzige Gifte schädigen die Knochen. Etliche verursachen auch Tumore, wie z.B. das Auripigment (gelbe Arsenblende). Viele gehen auch in den Leib und betreffen den „Liquorem Vitae“ und verursachen so Leibkrankheiten. Andere produzieren Wunden.
„Dieweil derselbig stern regirt“, solange der schädigende Stern also sein Gift ausdünstet, sollte übrigens die Krankheit nicht behandelt werden. Stattdessen ist es ratsam, die Zeit zu beobachten und nicht „vor der Zeit“ zur Heilung zu nötigen.
Hier endet der Traktat über die erste der fünf Krankheitsursachen. Typisch für Paracelsus verwirft er gängige Paradigmen und entwirft eine eigene, grundsätzlich neue Theorie – in diesem Falle zum Einfluss der Sterne auf unsere Gesundheit. Dabei behilft er sich mit Konstruktionen, wie z.B. das „M.“ als Vehikel für die Übertragung von astralen Giften auf das irdische Leben. Während das M. nie wieder im paracelsischen Werk auftauchen sollte, wird die Idee der Sterne als Verursacher von Temperaturen und Feuchtigkeit später in einem anderen Werk noch ausgebaut, wobei die Sterne als Quelle jeglicher Wetterphänomene verstanden werden.
Ein Kniff, den Paracelsus verwendet, um offene Fragen zu umgehen, sind Hinweise auf andere Bücher. Es handelt sich hierbei offensichtlich um metaphorische „Schriften“, die als Symbol herangezogen werden, um deutlich zu machen, dass es sich um Themen handelt, deren ausführliche Behandlung nicht hierher gehört. Hinsichtlich der von den Sternen unabhängigen Entstehung der Menschen heißt es beispielsweise: Näheres „wirdt euch im Ens Seminis angezeigt“. Zu angeborenen Charaktereigenschaften schreibt er:„alß de Generationes stehet“.Zum Thema „menschlichen Geist, der sich auf ein Ding versteht, woraus Glück entsteht“, verweist Paracelsus auf „De Archeo“. Zum Thema „Jüngstes Gericht“ findet man mehr im „Termino vitae“. Und der Ursprung der Winde aus dem Firmament wird im „De Meteorica“ thematisiert. Wobei diese Schrift, wie gesagt, tatsächlich als „Liber meteorum“ später von Paracelsus noch geschrieben werden sollte.
„De ente veneni“ (Von den Giften in der Nahrung)
In diesem Traktat identifiziert Paracelsus eine gestörte Funktionsweise des Magens, des „inneren Alchemisten“, als Ursache dafür, dass Gifte aus der Nahrung in den Körper gelangen, wo sie Krankheiten verursachen.
Zunächst beschreibt er das Phänomen, dass verschiedene Spezies aus sehr unterschiedlicher Nahrung ihren Leib am Leben erhalten.
Unsere Leiber müssen ernährt werden, wobei unsere Nahrung leider gut, aber nicht vollkommen beschaffen ist. Für sich selbst genommen sind unsere Körper, genau wie die der Tiere und Pflanzen, die wir verspeisen, perfekt und ohne Gift. Für den, der sie verzehrt, stellen sie allerdings durch den Gehalt an Gift auch eine Gefahr dar. Also: Jegliches Ding ist für sich vollkommen, aber „einem andern zu seinem nutz, ist es gutt und böß beschaffen“.
Ein Stier, der Gras frisst, nimmt Gesundes und Giftiges auf. Das Gras für sich selbst ist ungiftig. So ist es auch beim Menschen. Gegen sich selbst haben die Kreaturen keinen Alchemisten. Nur für das Unvollkommene, das wir zu unserem Nutzen essen müssen, haben wir einen Alchemisten, der das Gift vom Guten scheidet.
Dieser Alchemist in uns ist ein großer Künstler. Den Begriff „Künstler“ verwendet Paracelsus an dieser Stelle für den in den alchemistischen Künsten bewanderten Handwerker. Der Künstler in uns zerlegt die Nahrung und tut „das Gift in sein Sack“ und führt „das Gutte dem Leib“ zu.
Als Bild für diesen Vorgang nimmt Paracelsus den Fürsten und seinen Knecht, die beide für sich vollkommen sind. Aber dem Fürsten ist der Knecht „gifft und gutt“. Der Fürst hat aber die Fähigkeit beides zu identifizieren und nur das Gute vom Knecht anzunehmen und nicht das Schlechte.
Der Mensch muss essen und trinken! Damit ist er gezwungen gleichzeitig auch Gift, Krankheit und Tod zu sich zu nehmen, da alle Geschöpfe für andere Gift sind, auch wenn sie für sich selbst vollkommen sind.
Jede Spezi hat einen spezifischen Alchemisten in sich. Ein Pfau beispielsweise isst Schlangen und Eidechsen. Für andere Tiere wäre das „lautter gift“, für den Pfau nicht, weil sein Alchemist so subtil ist, dass kein Alchemist eines anderen Tieres ihm gleicht. Dem Strauß wurde zu Paracelsus` Zeiten offenbar unterstellt Eisen verdauen zu können, wohingegen der Salamander sich von Feuer ernähren sollte. Beides führt Paracelsus als Beispiele für die Wunder der alchemistischen Verdauungskünste an. Den subtilsten Alchemisten hat im Übrigen die Sau. Er kann sogar noch aus dem vom Menschen ausgeworfenen „Dreck“ Nahrung gewinnen. Der Dreck der Sau hingegen wird von keinem Tier mehr gegessen, weil es keinen „schaerffer Alchemist“ als den der Sau gibt.
Nun kommt Paracelsus zu der Beschreibung von Funktion und Fehlfunktionen des Magens, was naheliegenderweise in alchemistischem Vokabular vonstatten geht.
Er trägt dabei zunächst dem Phänomen Rechnung, dass Nahrung nach der Abscheidung von Giftstoffen in „Fleisch und Blut“ verwandelt werden muss: Der uns von Gott gegebene Alchemist „scheidet das böß vom gutten“, verwandelt das Gute in eine Tinktur, „tingirt den leib zu seinem leben“, „er ordinirt der Natur das subject in ihr, er tingirt sie, dass sie zu Blutt und Fleisch wird.“ Der Alchemist wohnt im Magen, „welcher sein Instrument ist, darin er kocht und arbeitet.“
Auch wenn Essen appetitlich aussieht, liegt doch darin auch Gift verborgen. Das Gute nennt Paracelsus „Essentia“, das Giftige ist das „Venenum“. Arbeitet der innere Alchemist fehlerhaft, entsteht aus beiden zusammen eine „putrefactio“ (Verwesung) und dann ein „Digestio“. Aus einem „zerbrochenen Digest“ folgt schließlich eine „corruptio“ (Fäulnis), in der am Ende die Ursache aller Krankheiten eines jeden Ens liegt.
Diese Fäulnis geschieht „Localiter“ oder „Emunctorialiter“. In der lokalen Variante schädigt die Fäulnis den Ort, an dem sie vonstatten geht. „Emunctorialiter“ nennt Paracelsus Krankheiten, die entstehen, wenn verhindert wird, dass Gifte durch die „Emunctorien“ (Körperöffnungen) ausgetrieben werden. Im funktionierenden Körper wird weißer Sulphur wird durch die Nase, Arsen durch die Ohren und Kot durch den Darmausgang ausgeschieden. Aus den Augen läuft zergangener in ein Wasser resolvierter (gelöster) Schwefel, aus dem Mund resolvierter Schwefel und durch den Harn resolviertes Salz. Näheres dazu findet man im „Liber de Origine Morborum“ (Buch vom Ursprung der Krankheiten), was etwas irritiert, da vorliegende Schrift ja genau dieses Thema behandeln möchte.
An der Stelle räumt Paracelsus ein, dass neben den fünf Ens auch noch andere „zufäll“ auftauchen können, die „Instrumenta und Reservacula und Emunstoria“ verderben und verstopfen und so den Menschen Krankheiten bescheren können. Als „Zufälle“ bezeichnet Paracelsus im Allgemeinen Vorgänge, die von außerhalb in den menschlichen Leib gelangen und dort Nöte verursachen. Hier nennt er die Elemente Feuer, Wasser und Luft, die durch Mund oder Nase kommend den Leib schädigen, so dass der innere Alchemist als Folge davon „todt und schwach“ ist.
Auch „unbequeme speß und trancks“ machen den inneren Alchemisten funktionsuntüchtig, was sich durch „digestio, putrefactio, corruptio“ äußert. Isst man beispielsweise Fleisch, Kohl, Gemüse, Gewürz und es wird im Magen eine „corruptio“ geboren, ist aber nur das Gift von einer Zutat schuldig. Wer den Missetäter erkennt (zumeist der Kohl?), darf sich einen Arzt nennen, denn dann weiß man auch, was dagegen hilft. Auch wenn es allerdings viele hunderte „Mütter“ von Krankheiten gibt.
Der Ochse ist für seine Bedürfnisse perfekt beschaffen, er dient aber auch dem Menschen als Nahrung. Als solche bräuchte er keine Hörner, Knochen, Klauen und Gifte, die dann unser Alchemist scheiden muss. Die Gifte werden dann durch die Emunctoria, die Körperöffnungen, ausgetrieben – wobei die Gifte oft nicht giftig aussehen. So wie aus Hüttenrauch (bei der Metallurgie entstehender arsenhaltiger Staub) ein schön anzusehendes goldenes Öl (Auripigment) wird, aber nichtsdestotrotz „ein aller verflüchtiges gift“ darstellt. So sieht auch unser „Nasenrotz“ nicht aus wie ein Gift, er ist aber eins, das „hauptkrankheiten der flüssen“ verursacht, wenn er nicht abfließt.
Also: Das Ens Veneni kommt alleine aus dem Essen und Trinken. Die etwaige daraus folgende „Corruptio“, verursacht Krankheiten. Die Beschreibung der konkreten Krankheiten wird im „Libris de Morborum Origine“ (Buch von der Ursache der Krankheiten) zu finden sein. Die Krankheiten „der Arsenicken, der Salien, der Schwefeln, der Mercurien“ je nach Form und Gestalt ebenso.
Damit endet der Traktat über die Gifte in der Nahrung als Krankheitsursache. Verantwortlich für die Krankheiten ist letztendlich eine Fehlfunktion des Verdauungssystems, das im Magen lokalisiert ist. Die durch diese Fehlfunktion entstehende Fäulnis ist der Grund der Krankheiten. Nicht die gestörte Verdauung selbst, sondern allein die schädlichen Gifte werden mit dem Begriff „Ens Veneni“ bezeichnet. Welche Ursachen der Fehlverdauung zu Grunde liegen, ist nicht Gegenstand dieses Traktats. Die Vorgänge selbst werden mit alchemistischem Vokabular beschrieben. Die Abhandlung stellt mehr eine philosophische Beschreibung mit bildhaften Beispielen als eine Ursachenforschung dar.
„De ente naturali“
Dieser Traktat behandelt das Kernanliegen des Paracelsus – die Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen schulmedizinischen Lehre. Sollte der studierte Arzt bis hierher noch gehofft haben, dass er sein Universitätswissen in der medizinischen Lehre des Paracelsus wiederfindet, so wird er nun bitter enttäuscht. Paracelsus rechnet in diesem Traktat mit den Paradigmen der universitären Lehre ab und legt seine eigene Sicht dar.
Im Medizinstudium des 16. Jhdts wurde der antike Kanon unterrichtet. Die sogenannte Humoralpathologie ging davon aus, dass Gesundheit und Krankheit von dem Gleichgewicht der vier Körpersäfte Galle, schwarze Galle, Blut und Schleim abhängt. Jeder Körpersaft stellt dabei eine Kombination der „Qualitäten“ trocken/ feucht mit warm/ kalt dar, so dass also beispielsweise das Blut als warm und feucht definiert wurde. Die vier Säfte wurden den vier Elementen Feuer, Erde, Luft und Wasser zugeordnet und diese wiederum mit den vier Temperamenten Choleriker, Melancholiker, Sanguiniker und Phlegmatiker assoziiert. Paracelsus räumt mit jeder einzelnen Idee auf.
Zusätzlich präsentiert er zum Thema „innere Organe“ eine alternative Theorie, deren Kernthese sich auch in der Naturheilkunde oder anthroposophischen Medizin nicht durchsetzen konnte.
Paracelsus behält allerdings Kategorien und Begrifflichkeiten der traditionellen Medizin bei und auch die Betrachtung des Menschen als Spiegel des „großen“ Kosmos findet sich bei ihm wieder.
Paracelsus wendet sich zunächst an die studierten Ärzte und warnt sie, dass auch dieses Ens nicht den traditionellen Schriften entspricht. Um dem Leser den Zugang zu neuen Ideen zu erleichtern, erinnert er an etwaige schlechte Erfahrungen, die er mit dem konventionellen Studium gemacht haben könnte: „Gedencket des neuen gewalts, und der einfaltigkeit der alten vergebnen männern.“
Das Ens Naturale bedeutet: So wie man das Firmament mit Sternen und Planeten als ein Ganzes erkennt, ist auch der Mensch ein in sich geschlossener Mikrokosmos. Der Mensch „konstelliert“ sich für sich selbst als „frey firmament, ohn alle bindung.“ Hier spricht Paracelsus nochmal die Unabhängigkeit des Menschen vom Himmel an, die auch schon beim Ens Astralis dargelegt wurde.
Trotzdem hilft die Betrachtung der himmlischen Vorgänge, des Laufs der Sterne und Planeten mit ihren „Exaltiones, Coninctiones, Oppositiones“, um die Funktionsweisen des menschlichen Körpers zu verstehen. Daraus folgt, dass man auch für die Gabe von Arzneien die „Astronomie können“ sollte. Den Begriff „Astronomie“ verwendet Paracelsus nicht für eine mathematische Gesetzmäßigkeiten erforschende Himmelsbeobachtung. „Astronomie“ bedeutet für Paracelsus die intuitive Wahrnehmung der Sternenläufe, um Hinweise auf menschliche Körperfunktionen zu erhalten.
Die Erde gibt Früchte, damit der Mensch sich ernähren kann. Der menschliche Körper produziert daraus Nahrung für seine Glieder. Allerdings mit einer Einschränkung! Die sieben Organe Gehirn, Herz, Lunge, Leber, Milz, Galle und Niere brauchen genau wie die sieben Himmelskörper unseres Sonnensystems keine Nahrung von außen. Die Planeten sind „selbstspeisend“, wie Paracelsus es ausdrückt. Und die sieben Organe entsprechen ihnen v.a. insofern, als dass sie keine Energiezufuhr brauchen, sondern aus sich heraus existieren. Diese Sicht auf die Möglichkeiten unseres Körpers ist in der Tat sehr eigenwillig und überrascht. Während assoziierte Entsprechungen der Körperteile mit Tierkreiszeichen oder Planeten im Mittelalter üblich waren, ist die Vorstellung, dass einige Körperteile keine Nahrung brauchen, eine wirklich paracelsische Theorie. Ob die konkreten Zuordnungen von Planeten zu den einzelnen Organen auch von Paracelsus kreiert sind oder übernommen wurden, kann ich nicht beurteilen. Auf jeden Fall gibt es auch in der modernen Astromedizin verschiedenste Entsprechungen von Zeichen oder Planeten zu Körperteilen. Auch die speziell paracelsische Zuordnung findet sich in anthroposophischen Schriften. Aus offensichtlichen Gründen wird aber auch dort von der Annahme Abstand genommen, diese Organe bräuchten keine Nahrungszufuhr.
Mir sind keine Textstellen aus anderen Schriften des Paracelsus bekannt, in denen diese These wiederholt wird. Insofern handelt es sich nicht um ein Kernparadigma im paracelsischen Weltbild. Für diesen Traktat jedoch stellt sie ein wesentliches Element dar, auf dem die angenommene Wesensverwandtschaft von Planeten und Organen fußt. Sie wird detailliert erläutert und nimmt zu viel Raum ein, als dass sie verschwiegen werden könnte, wie es so oft in der Rezeption dieses Textes geschehen ist.
Die anderen Körperteile und Organe hingegen brauchen Nahrung, so dass Paracelsus von zwei „Teilen“ im Menschen spricht: „Zweyfach ist der leib“, firmamentisch und „erdisch“. Der Mensch hat „zwey geschöpff an sich“, den „selbstspeisenden“ und den „mangelnden“.
Die Notwendigkeit der Nahrungsaufnahme, um den Leib zu erhalten, stellt „ein Band zum Außen“ dar. Essen ist also die Verbindung zur irdischen Welt.
Nahrung hat für Paracelsus keine spirituelle Wertigkeit. Sie hat für uns nur die Funktion wie der Mist für den Acker. Sie vermehrt den Samen nicht, sondern ist nur Dünger und macht den Acker „geil“. Weder Leben noch Vernunft oder „inwendige geister“ kommen vom Essen und Trinken. Die Nahrung stärkt allein den Leib.
Ausgenommen die sieben Organe, die wie die Planeten keine Nahrung brauchen. Sie haben mit ihrer Schöpfung („Creatz“) genug Energie bis zu ihrem vorherbestimmten Ende („Predestinenz“) erhalten.
Jupiter beispielsweise braucht keinen „Mist“ zu seiner Erhaltung, da er in seiner „Creatz“ genug zur Versorgung empfangen. So hat auch die Leber keinen Bedarf an Mist. Es ist ein lächerlicher Irrtum zu glauben, dass die Leber eine Verdauung hat. Laut Paracelsus hat das irgendein deutscher Dichter „von blauer Farbe“ gesagt. (Vermutlich ein Arzt, der die Sache realistisch eingeschätzt hat.) Für die Verdauung ist nach Paracelsus allein der innere Alchemist im Magen zuständig: Das ist der Bauer, der den Mist auf den Acker wirft!
So wie die Leber der Jupiter ist, ist das Hirn der Mond, das Herz die Sonne, die Milz der Saturn, die Lunge der Merkur, die Niere die Venus und die Galle der Mars. So wie die Himmelskörper jeder für sich am Himmel läuft, so tun es die Organe auch. Um die Krankheitsverläufe zu verstehen, sollte „der natürliche lauff im leib“ erkannt werden. Trotzdem sind menschliche und himmlische „Crisis“ zwei verschiedene, voneinander unabhängige Dinge.
Jedes Kind wird vollkommen mit seinem „Firmament“, den sieben Gliedern geboren. Dieses nimmt in der Geburt die „Praedestinationes“ an – die vorherbestimmte Zeitdauer seiner Existenz. Das Ens Naturale bestimmt also die Länge der „Läufe der leiblichen Planeten“. Und das Ende ist wie eine auslaufende Sanduhr „an einem festen Punkt aus“. Diese Zeitdauer kann bei verschiedenen Menschen sehr unterschiedlich sein. Bei einem Kind, das nach dem Ens Naturale nur 10 Stunden leben soll, haben sich die Läufe der leiblichen Planeten erfüllt. Bei einem 100-jährigen sind diese langsamer gelaufen.
Natürlich können die anderen Entia diese „Praedestination“ brechen, und den Organen ein vorzeitiges Ende bescheren, wie es oftmals geschieht.
Die vorherbestimmte Lebensdauer der Planeten lässt sich nicht künstlich verlängern, was selbstverständlich auch für die Organe gilt. In diesem Punkt sind sie gleich, ansonsten aber haben sie nichts miteinander zu tun. Die Verwandlung des Mondes geht das Hirn nichts an, schreibt Paracelsus. Das Hirn erneuert sich tausendemale vom Herzen. Dies geschieht unabhängig vom Voll- und Neumond, aber nach gleichem Prinzip. Spielt Paracelsus auf den Schlafrhythmus an? Das ist schwer zu beurteilen. Was er deutlich sagt ist, dass es von Unwissen zeugt, den Krankheitsverlauf durch aktuelle Planetenstände zu erklären. Auch der Saturn hat nichts mit der Milz zu schaffen. Lasst den Himmel Himmel sein! Es gibt keine Verbindung zu den Organen.
Nur Gott allein kennt die Praedestination, das Ende. Die Exaltationen, Konjunktionen und Opositionen geschehen im Menschen nicht materiell, sondern „geistlich“. Der Geist allein vollendet in jedem Glied seinen Lauf.
Nachdem Paracelsus klar gestellt hat, dass die Assoziierung der sieben Planeten mit den Organen keine aufeinander Einfluss nehmende Verbindung zwischen ihnen bedeutet, erklärt er nun das Wesen der Gleichsetzung. Sie ist, wie bereits angedeutet, geistiger Natur.
Wie die Sonne auf die Erde wirkt, so wirkt das Herz in den Leib hinein. Auch das Hirn ist mit dem Mond vergleichbar – aber im Geiste, nicht in der Substanz! Auch die Milz läuft wie der Saturn von der Creato bis zur Praedestination. Die Galle ist in der Substanz, wie der Mars im Geist. Und die Galle ist im Geiste wie der Mars in seinem Lauf. Die Nieren haben mehr oder weniger Exaltationen (Erregungen) der Venus. Aber nicht der Planet Venus zündet etwas im Leib an, sondern die Nieren. Während der Planet vom „Ente Magno“ entzündet wird, empfangen die Nieren ihre krankhaften Zustände vom Geist des Menschen. Der Merkur ist „der Lungen ein gleicher Planet, jedliches gewaltig in seinem Firmament“ – aber unabhängig voneinander. Und wie der Merkur der Erde nützlich ist „und zu was früchte er ihr gutt ist“, hat die Lunge die gleiche Aufgabe im Menschen. Der Jupiter ist dem Wesen nach wie die Leber. Ohne die Leber wäre „nichts Gutes“ im Leib. Wie der Jupiter „mildert (sie) ungestümmigkeiten.“
Wie wir sehen, bleiben die konkreten Gründe der Gleichsetzungen der einzelnen Planeten mit den Organen äußerst schwammig. Genau genommen wird eigentlich gar kein greifbares Argument genannt, dass die Assoziierung nachvollziehbar macht. Allenfalls die Sonne als Zentrum des Planetensystems und das Herz als zentrales Organ lassen eine Gleichsetzung stimmig erscheinen, aber selbst das formuliert Paracelsus so nicht aus, sondern überlässt es der Kombinationsgabe des Lesers.
Jetzt kommt Paracelsus zu den „Gängen“ der Organe im menschlichen Körper. Hier liegt die Vorstellung von voneinander isolierten Körperteilen zu Grunde, die auf streng eingegrenzte Körperregionen ausstrahlen. Paracelsus spricht vom „Lauf der Geister des leiblichen Gestirns“, „das ist von seinem Stamm, zu endt desselbigen Glides (…) gleich als ein Reflex.“ Beispielsweise gibt das Herz seinen Geist durch den gesamten Leib, wie die Sonne über die Gestirne und die Erde. Das Hirn hingegen geht allein zum Herzen und zurück „geistlich (…) und weiter kein ander gang.“ Die Leber läuft „in ihrem Geist“ allein im Blut „und berührt auch sonst nichts mehr“. Die Milz läuft nur „in der seitten und im Gedärm“, die Nieren durch „Harnweg und Lenden mit ihren umbwohnenden Stätten.“ Die Gänge der Lunge umfassen „Brust und Kehle“, die Galle läuft ihren Gang in Magen und Eingeweide. Wenn sich die Organe verirren und in falsche Gänge geraten, z.B. die Milz in die Gänge der Galle gerät, „werden Krankheiten geboren“. Näheres dazu findet man im „De Generatione Morborum“.
Hier beschreibt Paracelsus die Einflusszonen der sieben Organe, die streng voneinander getrennt sind. Auffallend ist, dass in keinster Weise ein Zusammenspiel der „Glieder“, wie er sie nennt, thematisiert wird. Erst das Ineinandergreifen der Funktionen der Organe hinsichtlich ihrer Aufgaben in den Stoffwechselprozessen, lässt ja unseren Körper als Ganzes funktionieren. Und auch Stoffwechselprozesse selbst werden in keinster Weise angedacht, was einigermaßen erstaunlich ist, da Paracelsus ja Alchemist war.
Tatsächlich finden sich auch alle anderen Sterne im menschlichen Leib! Näheres dazu findet man im „De Sideribus Corporum“. Sie nähren sich selber von den Reflexen, „die sie haben in ihren gängen“. Auch diese können sich verirren – und damit wohl auch Krankheiten verursachen, was Paracelsus hier nicht erwähnt, aber wovon wohl ausgegangen werden kann. Offensichtlich haben die anderen Sterne keine organische, materielle Entsprechung im Körper, denn Paracelsus betont nochmals, dass nur „sieben Leben“ im Menschen sind. Aber keins dieser Leben betrifft „das rechte leben“, „in dem die Seel ligt“. Die seelischen Bezüge zum Leben findet man in dem Werk „De Anima et Vita“.
In den Gedanken zu den Sternen findet man Anklänge einer Krankheits- und Medikamentenlehre, die Paracelsus in späteren Jahren noch ausführlicher entwickeln sollte. Nach dieser sind es die geistigen „Sidera“ im menschlichen Körper, deren „Exaltationen“ Krankheiten verursachen. Die Heilmittel dafür sind alchemistisch hergestellte Arkana, deren Wirkstoffe auf geistiger Ebene die Sidera wieder in ihre vorgesehenen Bahnen lenken.
Zunächst jedoch unterzieht Paracelsus im vorliegenden Buch die traditionellen Medizintheorien einer kritischen Untersuchung und stellt sie richtig. Laut klassischer Humoralpathologie sind bei der Entstehung von Krankheiten die vier Elemente, die Qualitäten (warm, trocken,…), die Säfte und die Komplexe (Temperamente) beteiligt. Dem stimmt Paracelsus zu! Allerdings sieht er die Zusammenhänge anders. Er schreibt „ein frembden Stylum“, „aber des wollen wir uns nit bekümmern.“
Die vier Elemente sind den sieben Organen „unterworfen“ und folgendermaßen im menschlichen Körper vertreten:
Das Feuer im Leib ist unsichtbar, wird aber von den Läufen der sieben Organe „ausgeschlagen“, so wie der Mensch erst Feuer machen muss, bevor etwas brennt. Sichtbar wird das innere Feuer beispielsweise bei einem Schlag auf die Augen. Dann sieht der Mensch vor dem inneren Auge die „Funken“, weil vor den Augen die „Gänge“ offen und klar stehen.
Das Wasser ist im Geäder, im „Gebeinfleisch“ und in allen Gliedern. So wie die Erde von Wasser durchzogen ist, fließt es auch im menschlichen Körper durch alle Glieder.
Die Luft macht sich durch den „Wind im Leib“ bemerkbar, hervorgerufen durch die Gänge der sieben Organe. Der „Wind im Leib“ ist ein Abbild der „Winde der Welt“, die aus den Planetenläufen entstehen.
Die Erde im Leib wird nur in einem kryptischen Satz beschrieben. Demnach ist die Erde das, „dorin die Nutriment wachsen und entspringen“.
So sind im Menschen die vier Elemente, „wie sie auff Erden seindt“. Aber es bleibt nach Paracelsus zu beachten, dass der Schöpfer mit dem Menschen ein unabhängiges und „ein frey geschöpf“ gestaltet hat. Die Elemente im Menschen entspringen im Übrigen nicht nur aus den sieben Organen, sondern auch aus anderen „Gliedern“, „als die Bücher de Creato Primo außweisen.“
Nun kommt Paracelsus zu seiner persönlichen Interpretation der Temperamentenlehre, die er, wie im Mittelalter üblich, „Komplexionen“ nennt. Die vier Temperamente Choleriker, Sanguiniker, Melancholiker und Phlegmatiker stehen allerdings in keinem Zusammenhang mit den vier Elementen oder den Tierkreiszeichen, wie es klassischerweise unterrichtet wurde. Vielmehr lassen sie sich im Menschen durch die vier Geschmacksrichtungen „sauer“, „süß“, „bitter“ und „salzig“ erklären. Diese Geschmäcker sind in der Tat in allen „Subjekten“ vorzufinden, aber nur im Menschen lassen sie sich ergründen, wo sie durch die Temperamente sichtbar werden.
Der Choleriker nimmt seinen Anfang aus dem Bitteren, das zwar heiß und trocken ist, aber nichts mit dem Feuer zu tun hat, wie Paracelsus ausdrücklich betont.
Die Melancholie kommt aus dem Sauren, welche kalt und trocken ist, aber definitiv nichts mit Erde zu tun hat.
Das Phlegma gebiert sich aus der Süße, „denn was da sueß ist, das ist kalt und feucht, und vergleicht sich dem wasser nicht.“
Der Sanguiniker ist aus dem Salzigen, das sich durch die Qualitäten „heiß und feucht“ definiert. Hier spart sich Paracelsus den Hinweis auf den fehlenden Zusammenhang zur Luft.
Im Grunde folgt Paracelsus damit weitgehend dem klassischen Viererschema des Galen, nur ohne die vier Körpersäfte zu erwähnen – die er ja ablehnt – und mit der Betonung auf die Unabhängigkeit von den vier Elementen. Die Gleichsetzung der vier Temperamente zu den vier Geschmäckern in Kombination mit den vier Qualitäten ist jedoch eine damals übliche Schematisierung. Allerdings vertauscht Paracelsus die Geschmäcker „süß“ und „salzig“. Klassischerweise wird dem Sanguiniker das Süße zugeordnet und dem Phlegmatiker das Salzige. Schwer zu sagen, ob Paracelsus einfach nur durcheinander gekommen ist oder ob das eine bewusste Abänderung darstellt. Er verliert jedenfalls kein Wort darüber.
Wenn ein Geschmack im Menschen überhand nimmt, haben wir es mit einem der vier Typen zu tun. Allerdings – und jetzt kommt eine weitere Überraschung – haben diese Komplexionstypen nach Paracelsus nichts mit Gefühlszuständen oder „Temperamenten“ zu tun! Es ist also nicht so, dass ein Sanguiniker fröhlich oder eine Melancholiker traurig wäre, wie man meinen möchte. Solche Gefühlszustände werden aus dem Geist geboren; dies sind geistige Eigenschaften, die nach paracelsischer Definition im Gegensatz zu den Komplexionen ihren Ursprung nicht in der „Natur“ haben. Woran man einen Vertreter einer Komplexion, z.B. einen Choleriker erkennen kann – wie sich also der Geschmack „bitter“ und die Qualitäten „heiß und trocken“ an einem Menschen konkret festmachen lassen, beschreibt Paracelsus nicht.
Der letzte Bereich des Ens Naturali ist der „Liquor Vitali“ – der „Lebenssaft“. Mit ihm trägt er dem Umstand Rechnung, dass er die vier klassischen Körpersäfte, die Dreh – und Angelpunkte der Humoralpathologie, nicht mal mit ihren Namen erwähnt. Statt diesen präsentiert er nur einen „Körpersaft“, dem nichtsdestotrotz eine zentrale Funktion im Körper zukommt: „Dann auß ihm lebt der Leib“ heißt es. Der Lebenssaft ist eine Feuchte im gesamten Leib, „derselbige ist ein leben der glidern“. Dieser Saft ist ein „Ens“ für sich selbst und gebärt die guten und bösen Erze in der Erden und im Leib. Der Mensch ist „gesetzt“ auf hunderte Tugenden oder Bosheiten, die nicht aus dem Gestirn kommen, sondern aus diesem Lebenssaft. Und so viele Erze es auf der Welt gibt, so viele „Tugenden und Bosheiten“ sind im Menschen angelegt.
Aber auch wie bereits bei den Komplexionen, scheint es sich bei diesen Tugenden und Bosheiten nicht um Charaktereigenschaften zu handeln, sondern um körperliche Veranlagungen. Es sind nicht die „sitten“ oder „geberden“, die die Tugenden sichtbar machen; es ist also nicht das menschliche Verhalten, was Hinweise auf den Zustand des Lebenssaftes gibt. Vielmehr sind es die „farben und gezierd“ z.B. des Gesichts, die Auskunft geben. Sieht bspw. jemand rosig aus, so ist er kein Sanguiniker; genauso wenig wie jemand ein Choleriker ist, wenn er eine wächserne Gesichtsfarbe hat. Einen rosigfarbenen Typen sollte man eher „Solaris“ nennen, weil Gold die adelige Farbe der Rosen ist. Und so ist es auch mit anderen Farben. Es ist wichtig, sich mit den Färbungen auszukennen, weil sie Auskunft über die Natur des Lebenssaftes geben. „Dann ihm sind viele kranckheiten unterworffen, die den andern nichts in gewalt stehendt.“.
So gibt es also im Ens Naturalis vier Bereiche im Leib, aus denen Krankheiten entspringen können:
Das „Firmament“, materialisiert in Form der sieben Organe, die den Planeten entsprechen.
Die „Elemente“, hervorgerufen durch die „Gänge“ der Planeten.
Die „Komplexionen“, definiert durch die vier Geschmäcker und Qualitäten.
Der „Lebenssaft“, ein grundlegendes konstitutionsbildendes Prinzip, das sich durch die Farbe des Körpers bemerkbar macht.
Paracelsus beschreibt in dem Traktat zum „Ens Naturalis“ allein die körperliche Zusammensetzung des Menschen. Obwohl die Funktionsweisen auf einer geistigen Ebene stattfinden können (wie z.B. die „Gänge“ der Organe), beschreiben sie nur die materielle Beschaffenheit des menschlichen Körpers. Wie Fehlfunktionen – und damit Krankheiten – zustande kommen, wird allenfalls am Rande erwähnt, z.B. in Form von „Verirrungen“ der Planeten, die in falsche „Gänge“ geraten sind.
Am Ende des Traktats spezifiziert Paracelsus jedoch vier Krankheitstypen, die den vier Bereichen entspringen. Aus den „Sideras“ (Sternen) kommen die „Morbi Chronici“ (chronische Krankheiten), aus den Elementen die „Morbi Peracuti“ (plötzlich und heftig auftretende Krankheiten, wie z.B. Schlaganfälle), aus den Komplexionen die „Morbi Naturalis“ (natürliche Krankheiten) und aus dem Lebenssaft die „Morbi Tingentes“ (Farbkrankheiten, mglw. Gelbsucht u.ä.).
Genaueres findet man in dem (metaphorischen) Buch „De Morborum Origine“, wie Paracelsus schreibt. Gleichzeitig regt er seine Leser dazu an, selber Erfahrungen zumachen und weiterzuforschen: „Und damit dass ihr ein mehrern grund habet, sollet ihr dasselbig weitter suchen, de Morbis et Practica“.
Der Traktat „Ens Naturalis“ nimmt im „Volumen Paramirum“ nur unwesentlich mehr Raum ein als die anderen vier Traktate. Während letztere jedoch durch mehr Wiederholungen gekennzeichnet sind, und sich damit besser komprimieren lassen, beschreibt das „Ens Naturalis“ dezidiert verschiedene Vorgänge, wodurch die Zusammenfassung umfangreicher wurde.
„De ente spirituali“
Dieser Traktat beschreibt, auf welche Weise die Geister der Menschen anderen Menschen körperlichen Schaden zufügen können. Dies kann unbewusst geschehen; das vordergründige Thema hier ist jedoch die bewusste Schädigung. Im Grunde wird hier eine Form des „Schadenszaubers“ behandelt, wobei dieser Begriff aber nicht von Paracelsus verwendet wird. Tatsächlich unterlässt er auch eine moralische Wertung solcher Vorgänge. Ihn interessiert in erster Linie die Art und Weise der „natürlichen“ Mechanismen, die die Materialisierung solch geistiger Eingriffe möglich machen.
Damit begibt sich Paracelsus zum Einen in Konfrontation mit zeitgenössischen Theologen, die in solchen Vorgängen den Teufel am Werk sahen. Auf der anderen Seite stieß er auch vereinzelte Zeitgenossen vor den Kopf, die so etwas für Humbug, also für unmöglich hielten.
Zunächst stellt Paracelsus klar, was hier unter dem Begriff „Geist“ verstanden wird: Auch das „Ens Spirituali“ ist eine Gewalt, die kränken und den Leib in alle Krankheiten verwandeln kann. Dieses Ens hat nichts mit der üblichen Theologie zu tun, die nicht immer heilig ist – schon gar nicht in ihrer Umsetzung! Auch wenn die Theologen dieses Ens gerne beschreiben: Sie liegen falsch!
Dieses Ens kommt nicht aus dem christlichen Glauben, ist aber auch nicht „wider den glauben.“
Die Geister, um die es hier geht, sind keine Teufel. Es ist unsinnig zu sagen „der Teufel thuts“. Hier sind also nicht der Teufel und seine Effekte Thema. Weder Teufel noch Engel sind Geister!
Die Geister werden aus unseren Gedanken geboren, ohne Materie, im lebendigen Leib.
Was hingegen nach unserem Tod ins ewige Leben geboren wird, ist die Seele.
Der Geist des Menschen kann alle Krankheiten machen, so wie die anderen Ens auch. Es gibt zwei Subjekte, in die die Krankheiten gedrückt werden. Das wäre zum einen der Leib, in dem alle Krankheiten still liegen, bis ihn ein Ens anfällt. Zum andern ist es der „Spiritus“ (Geist) des Leibs, der zwar unsichtbar ist, aber auch alle Krankheiten haben kann.
Die drei bisher behandelten Ens wirken auf den Leib, die beiden letzten auf den Geist. In dem Sinne gibt es „Materialische“ und „Spiritalische“ Krankheiten. Wenn der Geist leidet, wird das Leiden allerdings auf den Leib übertragen.
Der Geist erhält den Leib, so wie die Luft vor dem Ersticken bewahrt. Dieser Geist in uns ist für die Geister der anderen sichtbar, „greifflich und entdfindlich den andern Geistern“. Die Geister sind miteinander „verwandt“, wie unsere Körper. Sie kennen einander und sprechen miteinander „aber ungenöttet unserer red, sondern was sie wollen“. Es ist möglich, dass sie aufeinander zornig sind und sich verletzen „gleich wie ein Mensch den andern.“ Diese Verletzung erfolgt im Geist, aber weil der Geist im Leib wohnt, wird der Leib krank. Solche Krankheiten benötigen eine „Spiritalisch Artzney“, weil ihre Ursache im Geist und nicht im Leib liegt.
Paracelsus unterscheidet den „Willen“ von der „Vernunft“. Unsere Geister werden vom Willen geboren, nicht von der Vernunft. Die Vernunft gebiert nur die Seele, die hier nicht Thema ist. „Was da lebt nach seim Willen, das lebt im Geist: was aber lebt nach seiner Vernunft, das lebt wider dem Geist.“
Schwierig nachzuvollziehen an dieser Stelle ist, inwiefern die Aktivitäten unserer Geister uns bewusst sind. Sie „kennen sich und sprechen miteinander“, aber anders als wir Menschen. Dies suggeriert, dass sie ein eigenständiges Leben führen, uns also nicht „bewusst“ sind. Andererseits werden sie von unserem Willen geboren, der im heutigen Sprachgebrauch ja durchaus eine Bewusstheit voraussetzt.
Interessant ist auch die Verwendung des Begriffs „Vernunft“, den Paracelsus mit dem seelischen, also unsterblichen Teil von uns in Verbindung bringt. Im heutigen Sprachgebrauch bezeichnet die „Vernunft“ ja allein rationale, geistige Denkvorgänge.
In Kindern, so schreibt Paracelsus, ist noch kein Geist, weil ihnen der „vollkommene Willen“ fehlt. Der Geist wird dem Menschen nicht „vom Himmel verordnet“, sondern der Mensch macht sich ihn selbst, so wie er auch ein Feuer aus einem Kiesel schlägt.
Alle Menschen, die einen Willen haben, haben einen solchen Geist. Auch in ihm sind alle Krankheiten „eingedruckt“. Körper und Geist sind vereinigt, da der Geist vom Körper kommt. Die Geister haben ihre Welt, wie wir auf Erden. Und sie haben gegeneinander Neid, Hass e.c.t. „ohn verwilligung der Körper“. Geister können einander verletzen ohne Einbeziehung der Körper. Aber der Körper des verletzten Geistes muss „die Bürden tragen, die der Geist empfangen hat.“
Nach Paracelsus werden Geister also zwar aus dem menschlichen Willen geboren, was aber offensichtlich nicht ausschließt, dass sie unabhängig vom Menschen untereinander Gefühle hegen. Diese Gefühle unterliegen folglich nicht dem Willen des Menschen, was Paracelsus im folgenden darlegt:
Es gibt zwei Wege, wie der menschliche Geist dem Leib eines anderen Menschen Krankheiten zufügen kann. Zum Einen können sich Geister gegenseitig durch Neid u.ä. verletzen, „ohn willen der Menschen“. Zum Andern kann die Schädigung willentlich geschehen. Dabei gebiert der Wille aus Sinn und Gedanken den Geist. So wie die Meinung die Mutter des Redens ist, ist der Wille der Erzeuger des Geistes.
Paracelsus trägt hier dem Umstand Rechnung, dass unsere Gefühle keine willentlichen Zustände sind. Körperlich schädigend können sie trotzdem sein.
Die Geister führen also ein Eigenleben. Offen bleibt die Frage, woher dieses Eigenleben kommt, wenn die Geister doch erst aus unserem Willen entstehen. Diese Frage stellt sich Paracelsus nicht. Ihn interessiert die körperlich schädigende Kraft des menschlichen Geistes und die zugrundeliegenden Mechanismen.
Während Paracelsus in seinen Erläuterungen zumeist die „wir“- Form benutzt („unser Geist“), wechselt er für den nächsten Abschnitt in die „ich“- Form. Habe ich den Willen jemandem zu schaden, so schreibt er, handelt mein Geist „wider deß Geist, den ich meine“ und schädigt ihn. Dies wird aber im Leib empfunden. Es ist ein Kampf zwischen zwei Geistern. Der weniger „inbrünstige“ unterliegt. Der „in anzündung des Geists“ hitzigere gewinnt.
Solche Kämpfe der Geister verursachen Wundkrankheiten. Auch Krankheiten ohne Wunden, die „Leibkrankheiten“ werden „durch die Geist geboren“. Diese Krankheiten schlafen in unserem Körper, sind also potentiell immer gegenwärtig, werden dann aber durch die Geister geweckt und brechen aus. Näheres dazu findet sich im „de Origine Morborum“.
Vergräbt man eine Wachsfigur, die den zu schädigenden Menschen darstellt, und beschwert man diese Figur mit Steinen, so bekommt der Mensch Beschwerden an den Stellen, wo die Steine liegen. Auf die Weise lassen sich Brüche, Stiche, Wunden u.s.w. übertragen.
Bei solcherlei Vorgängen ist die so genannte „Nigromancia“ im Spiel. Diese wirkt auf der geistigen Ebene. Dank ihr lassen sich zwar „Gesicht machen“, also nicht existente Dinge optisch vorgaukeln, aber sie kann direkt keine Leiber schädigen. Die körperliche Schädigung erfolgt über den Umweg eines materiellen Mediums (z.B. Wachspuppe), worüber ein Geist in der Lage ist, einen anderen zu verletzen, was sich dann wiederum auf den Körper des Opfers auswirkt.
Als weiteres Beispiel führt Paracelsus einen „Nigromanten“ an, der einen Baum setzt und bestimmt, dass wer den Baum schlägt, sich selbst haut. Dies funktioniert über den „Baumgeist“: „Derselbige Geist hat Händ und Füß wie du, und wo er gehauen, da wirstu gehauen: dann du und dein Geist ist ein Ding.“ Also auch Bäume haben Geister, die der „Nigromant“ Kraft seines Willens beeinflussen kann!
Kurz und gut: Nicht der Leib entfacht hier die Wunden, obwohl sie am Leib zu sehen, sondern der Geist. Deshalb muss der Geist „artzneyet“ werden, nicht der Leib. Denn der Geist ist wund und nicht der Leib.
Habe ich in meinem Willen Feindschaft gegen jemanden, so ist es möglich, diesen über ein Medium, „einen Korpus“ (z.B. Wachspuppe) zu verletzen. Ohne Zuhilfenahme des Körpers, allein durch ein inbrünstiges Begehren kann mein Geist dem Widersacher Wunden zufügen. Dazu muss ich durch meinen Willen den „Geist meins widersachers bring in das bildt“ und ihn „darnach krümb oder lähme, im Bildt nach mein gefallen“.
Überhaupt ist die Wirkung des Willens in der Arznei „ein großer Punkt“. Auch bei jemandem, der sich selbst hasst und sich nichts Gutes gönnt, kann der Fluch gegen sich selbst ankommen und krank machen. Denn Fluchen kommt aus „der Verhängung des Geistes“. Auch die Abbilder der Feinde können verflucht werden und so Krankheiten wie Fieber, Epilepsie, Apoplexien u.s.w. auf die Person übertragen.
Paracelsus richtet nun einen Satz an seine Arztkollegen, der deutlich macht, dass schon damals nicht alle Zeitgenossen solch magischen Vorgänge ernst nahmen. „Und lassendt euch das kein schertz sein ihr Artzet: ihr wissendt die Krafft des Willens nit den minsten theyl: Dann der Wille ist die gebärerin solcher Geister, mit welchen der vernünfftig nichts zu schaffen hat.“ Die Interpretation des letzten Satzes muss offen bleiben. Meint Paracelsus, einige Ärzte seien zu „vernünftig“, um sich damit abzugeben? Oder ist dies doch eine versteckte moralische Wertung, die solcherlei Magie „unvernünftig“ im Sinne von „schlecht“ findet? Wahrscheinlich nimmt Paracelsus aber Bezug auf die schon erwähnte Trennung zwischen dem geistig-willentlichen und dem seelisch-vernünftigen Teil im Menschen. Die beschriebenen magischen Vorgänge vollziehen sich, wie schon dargelegt, allein im geistigen und nicht im seelischen Bereich.
Im Übrigen funktioniert so ein – ich nenne es mal „Übertragungszauber“ – mit Vieh noch viel besser als mit Menschen, weil die Geister des Viehs sich nicht wehren. Näheres dazu findet man im „De Spiritus et de Generatione Spiritum“.
Als letztes Anwendungsgebiet für solcherlei Vorgänge nennt Paracelsus die Möglichkeit einen Dieb an die Stätte seiner Tat zurück zu ordern, bzw. ihn aus der Ferne zu „schlagen“. Malt man das Bild des Diebes an die Wand, ist es möglich durch Willenskraft den Geist des Diebes in das Bild zu ziehen. Nun ist der Dieb zu einem Subjekt geworden, das alles erleiden muss, was dem Bild zugefügt wird. Das funktioniert aber nicht mit einer frommen Person, weil deren Geist stärker ist. Der Geist des Diebes jedoch ist furchtsam und kann sich nicht wehren. Dann muss der Dieb, genötigt durch seinen eigenen Geist, je nach Gusto des Bezwingers z.B. zurück an die Stätte seiner Tat.
Es passiert aber auch, dass Geister ohne Figuren oder Bilder gekränkt werden. Dies geschieht ohne Wissen des Täters im Schlaf : „also dass dein Geist den Geist des andern im Schlaf zu dir bringt“. Dann werden durch Träume die Dinge vollbracht. Denn die Träume neidischer Menschen werden wahr! (s. „de Somniis“) Es gibt keinen Traum, der nicht aus dem Geist geschieht, der hier beschrieben wurde.
Abschließend erklärt Paracelsus noch einmal, dass durch das Ens Spirituali der Wille handelt, und nicht der Glaube. Zwei Männer, die sich schlagen, tun dies allein durch die Hitzigkeit ihrer Geister des Willens.
Einer der Gründe für eine Krankheit kann also eine Verzauberung durch einen Feind sein. Dies war damals eine durchaus gängige Annahme und mit ein Grundstein für die Hexenverfolgungen. Paracelsus negiert allerdings die Beteiligung des Teufels und beschränkt sich darauf, die „natürlichen“ Mechanismen darzulegen, ohne zu verurteilen, zu „verteufeln“. Der Fall des Diebes, der sich durch Magie stellen lässt, impliziert durchaus, dass der „Bezwinger“ auf der „guten“ Seite stehen kann. Die Frage drängt sich auf, ob Paracelsus, der in anderen Werken Erfahrungen und Praxis hochhielt, solcherlei angewendet haben könnte. Wir wissen es nicht, da er nichts dergleichen erwähnt.
Wir erfahren viel über die paracelsische Vorstellungen von dem menschlichen „Geist“. Er findet Ausdruck in unseren Träumen. Im wesentlichen besteht er aber aus unseren Gedanken und unseren Gefühlen. Mit negativen Gefühlen kann man anderen unwissentlich schaden. Für eine absichtliche Schädigung ist der Wille als wesentliches Element des Geistes entscheidend. Kurz erwähnt wird, dass Frömmigkeit vor den geistigen Eingriffen anderer schützt, da ein frommer Geist stark ist. Allerdings betont Paracelsus mehrfach, dass das Ens Spirituali nichts mit dem „Glauben“ zu tun hat. Der christliche Glaube steht mit der unsterblichen Seele in Verbindung; der hier behandelte Geist ist hingegen an den Körper gebunden und sterblich.
Es bleiben auch Fragen offen. Wie kann es sein, dass ein Kind noch keinen Geist hat, ein Baum oder ein Tier aber schon? Wenn der Geist aus dem Willen geboren wird, sind unsere Gefühle dann Ausdruck unseres Willens?
Der Traktat über das „Ens Spirituali“ lässt große Interpretationsspielräume und inspiriert seit Jahrhunderten an Transzendenz interessierte Menschen.
„De ente dei“
Im fünften und letzten Traktat stellt Paracelsus ausführlich klar, dass jede Krankheit und Heilung letztendlich allein in Gottes Hand liegt. Unabhängig von dem verursachenden „Ens“ ist der Wille Gottes ausschlaggebend, ob die Behandlung einer Krankheit zum Erfolg führt. Krankheiten generell werden hier als „Fegefeuer“ bezeichnet.
Darüber hinaus gibt es aber neben den beschriebenen vier natürlichen Krankheitsursachen eine fünfte: die Strafe Gottes!
Während die ersten vier Ens heidnischer Natur sind, ist das fünfte nun nach „Christlichem Stylo“, wie Paracelsus schreibt. Den heidnischen „Brauch“ kann man begreifen, ohne Schaden am christlichen Glauben zu nehmen, weil „der Heydnische Brauch nach der Natur gehet“, die von Gott so vorgesehen ist.
Aber auch wenn die Krankheiten der ersten vier Entien aus der Natur entspringen, sollten wir ihre Heilung im Glauben suchen und nicht in der Natur.
Das fünfte Traktat ist für die Christen geschrieben, nicht für die Heiden. Als Christen sollten wir wissen, dass jede Gesund- und Krankheit von Gott kommt. Dabei gibt es zwei Arten von Krankheiten: Die natürlichen entspringen den ersten vier Ens, das fünfte Ens ist die Krankheit als Strafe. Letztere ist unmittelbar von Gott als „Exempel“ gesetzt, um uns daran zu erinnern „daß all unser Sach nichts ist“, wir Dinge nicht wirklich ergründen können und schon gar nicht die Wahrheit wissen. Wir sind fehlerhaft, unser Können und Wissen „ist nichts“. Gott gibt Gesundheit und Krankheit „daß wir den grundt berühren.“ Zu den Krankheiten gibt Gott auch die Arzneien, deren Vorbestimmung in der Zeit liegt. Dies bedeutet, dass Heilung „in der (vorbestimmten) stund der zeit“ geschieht und nicht, wann wir wollen. Auch kein Arzt kennt „den Termin der Gesundheit“, denn den hat nur Gott in der Hand. Jede Krankheit ist ein Fegefeuer, das nicht der Arzt, sondern nur Gott beendet. Ein Arzt ist der, „der da arbeite in die Praedestinirung des Fegfeures.“
Wenn die Vorherbestimmung kein Ende der Krankheit vorsieht, dann hilft auch keine Arznei. Wird der Kranke von Gott zum Arzt geschickt, so wird er an der Arznei gesund. Wo nicht, ist der Arzt nicht von Gott geschickt.
Die „unwissenden“ Ärzte sind von Gott geschickte „Fegeteufel“; die „wissenden“ Ärzte werden geschickt, wenn die Heilung ansteht.
Der Arzt kann allerdings noch so gut sein, der Vorherbestimmung kann er nicht zuvor kommen.
Also: Gott hat Arzneien gegen Krankheiten beschaffen und den Arzt dazu. Aber die Zeit für die Heilung muss reif sein, „dann wird verbracht der Natur ihr gang“.
Krankheiten könnten auch ohne den Arzt enden, aber Gott möchte durch Menschen seine Wunder zeigen, deshalb gibt es den Arzt. Es gibt Ärzte, die durch Wunder heilen und Ärzte, die durch Arznei heilen. Wer glaubt, kann Wunder bewirken. Ist der Glaube nicht stark genug, vollbringt der Arzt das Wunder, als ob der Kranke genug glauben würde.
Zu Zeiten der alten Ärzte (Hippokrates u.s.w.) waren Arzneien „glückseliger“, weil die „Fegefeuer“ klein waren. Jetzt hingegen sind die Krankheiten übler und die Arzneien wirken weniger, weil es auf Erden noch nie so böse Ärzte gab, wie jetzt. Das Fegefeuer lässt sich von Ärzten nicht eindämmen. Die christliche Erkenntnis hier besagt: Krankheiten sind Geißeln, die Gott durch den Glauben nimmt, nicht durch Arzneien.
Aus diesem Grund sollen wir nicht auf Arzneien hoffen, sondern auf Gott. „…lassend darnach Gott sorgen darumb, wie er ihn gesund macht: Es sey wunderbarlich durch Heiligen, durch eigen Kunst, durch Arzt, oder alte Weiber.“ Die Gabe der Heilkraft ist also nicht allein den Ärzten vorbehalten! Auch Heilige, eigenes Vermögen und alte Frauen können von Gott dazu bestimmt sein.
Gott ist der allererste Arzt. Der Heide schreit nach Ärzten, der Christ hingegen nach Gott.
Das Ens Dei kann allen Menschen Krankheit bringen. Der Mensch und alle Geschöpfe sind Gott unterworfen, der uns „glückseligt und unglückseligt“. Gott verhängt zwei Typen von Strafen. Eine im Leben und eine nach dem Tod. Im Ens Dei ist die Strafe im Leben Thema.
Der Tod an sich ist eine Strafe für die Sünde „von eins mannes wegen“. Wahrscheinlich meint Paracelsus damit Adam, der wegen Eva aus dem Paradies vertrieben wurde. Nach dem Urteil „der Himmlischen“ ist der Tod über die Menschen verbracht worden, wie es im „Libro de Morte“ beschrieben wird.
Gegen den Tod gibt es keine Arznei – nur gegen Krankheiten. Diese erkennt nicht der Theologe, sondern der Arzt. Auch wenn die Krankheiten aus den natürlichen vier Ens kommen „ist das kein (…) grundt, wider den Willen Gottes zu streitten.“
Krankheit und Arznei sind aus göttlicher Vorsehung geschaffen. Bei der Arzneigabe ist immer unbedingt Stunde und Zeit zu beachten!
Was macht den Arzt zum Arzt? Er ist der Knecht der Natur; Gott ist der Herr über die Natur. Der Arzt macht niemanden ohne Gott gesund.
Die Nieswurz beispielsweise bringt zum Übergeben. Aber nicht bei jedem Arzt, der sie verabreicht, wirkt sie gleich, weil es nicht vorgesehen ist, dass die Nieswurz bei allen Ärzten kräftig ist. Die Kunst des rechten Arztes kommt von Gott, ebenso, dass er dem Kranken zugeschickt wird.
Eine Stadt mit gutem Arzt ist glückselig.
Diese Zusammenhänge sind deshalb so, damit der Mensch nicht allein durch die Wunderwerke Gottes Hilfe erfährt, sondern auch durch seine Kreaturen, wie den Arzt.
Die Krankheiten aus diesem Ens sind nicht zu ergründen, im Gegensatz zu den Krankheiten der anderen vier Ens. Trotzdem kann ein Arzt gar nicht „merken“, ob jemand durch das Ens Gottes krank ist. Auch in den Krankheiten der natürlichen Ens ist das Prinzip der göttlichen Strafe verborgen. Dann können auch diese nicht geheilt werden „durch kein krafft“ und sie dauern bis zum Tod.
In der Stunde des Todes hören alle Krankheiten auf. Dann kommt eine Veränderung wie von weiß zu schwarz. Aber solang die Krankheit währt, gibt es keinen Tod!
Christlich ist es, sich „auff das Ens Dei (auszu-) richten“. Ein Arzt, der kein Christ ist, der achtet den Willen Gottes und die göttliche Vorherbestimmung nicht.
Aber auch ungläubige Ärzte können gesund machen, denn wenn etwas geschehen muss, dann durch die, die das können und gerade da sind. Der heidnische Arzt allerdings nutzt die Arznei, als sei er Gott. Der christliche Arzt hingegen akzeptiert Gottes Willen, auch wenn das heißen sollte, dass die Arznei nicht wirkt.
Die Arzneien sind der Pflug der Ärzte.
Dieweil nur Eigennutz herrscht, sind Arzneien „Nahrung der Frommen“, damit die Tugenden, die Gott geschaffen hat, gesehen werden.
So beschließt Paracelsus den letzten Traktat. Seine Überlegungen zu dem Thema „Krankheit als Strafe“ berühren in keiner Weise direkte Zusammenhänge zwischen Krankheit und Sünde. Es ist auch kein Aufruf zu einem gottgefälligen Leben, wie es Paracelsus sonst in seinen theologischen Schriften zu tun pflegt.
Paracelsus erinnert nur daran, dass wir völlig in Gottes Hand sind und auch die Heilung einzig und allein nach göttlicher Vorherbestimmung geschieht. Der Arzt nimmt hierbei nur die Rolle als Werkzeug Gottes ein, wobei sein ärztliches Können die Macht Gottes veranschaulichen und den Menschen Demut vor Gott lehren soll. Auch heidnischen Ärzten werden heilerische Fähigkeiten zugestanden, da sie in der Natur, die Gottes Schöpfung ist, agieren.
Conclusio
Auf der letzten Seite des „Volumen Paramirum“ wiederholt Paracelsus in seiner „Conclusio“ die ihm wichtigen Aussagen.
Demnach ist es für die Praxis wichtig zu wissen, dass Krankheiten nicht aus einem, sondern aus fünf Gründen entstehen. Es folgt ein Seitenhieb auf die zeitgenössischen Ärzte, Astrologen und Theologen: „dann bey euch ist noch wenig Wahrheit erfunden im grund“. Die Gelehrten sind Phantasten „die da ingründen mit der Phantasey, welcher nit zu glauben ist.“ IhrePhantasien sind pure Überheblichkeit. Die „Kunst“ hingegen ist „alle Vernunft, Weißheit und Sinnlichkeit, das beschicht in der Wahrheit, welche da gehet aus der Erfahrenheit“.
Das sollte der weise Mann beherzigen, „dass er sey ein künstler, und nit ein Phantast.“
Einordnung
Deutlich wird in der Schrift „Volumen Paramirum“ die für Paracelsus so typische Herangehensweise nicht überliefertem Bücherwissen zu vertrauen, sondern sich selbst einen Reim – hier auf die Ursachen von Krankheiten – zu machen.
Gleichzeitig ist Paracelsus noch sehr den zeitgenössischen medizinischen Paradigmen verhaftet. Dazu gehört die Betrachtung des Menschen als Abbild des Makrokosmos, bestehend aus den vier Elementen und der Sternenwelt. Der Mensch als Mikrokosmos ist immer wieder Thema im medizinischen Gesamtwerk des Paracelsus.
Auch die unbedingte Frömmigkeit entspricht dem Geist seiner Zeit; wobei allerdings im Falle der Schadenszaubereien nicht der Teufel, sondern natürliche Vorgänge am Werk gesehen werden.
Kurze Zeit nach der Niederschrift der 5-Entien-Lehre kommt noch eine ganz spezifisch paracelsische Theorie dazu, die fortan wie ein roter Faden sein Werk durchziehen sollte: die drei Prinzipien Theorie. Nach dieser besteht die materielle Welt, einschließlich des menschlichen Körpers, aus dem Zusammenspiel der drei Stoffe Quecksilber, Schwefel und Salz. Im „Volumen Paramirum“ ist diese Theorie noch nicht entwickelt; an drei Textstellen werden diese drei Substanzen zusammen mit dem Arsen jedoch als krankheitsverursachende Gifte hervorgehoben.
Die traditionelle 4-Säfte-Lehre und auch die zeitgenössische Astrologie verwirft Paracelsus und kreiert stattdessen eigene Thesen zur Funktionsweise des menschlichen Körpers, die allerdings ihrerseits auch keinen Eingang in die moderne Medizin nahmen.
Während die Idee des Menschen als Mikrokosmos und später die drei Prinzipien Theorie immer wieder von Paracelsus herangezogen werden sollten, finden sich im „Volumen Paramirum“ einmalig formulierte Ideen, die von daher nicht als Kernparadigmen in der Arbeitsweise von Paracelsus verstanden werden können. Dazu gehört das „M.“ als Vermittler der astralen Gifte und die Vorstellung von sieben Organen, die keiner „Nahrung“ bedürfen. Auch die Gleichsetzung dieser sieben Organe mit den sieben Planeten ist kein Schema, das in anderen Werken wiederholt wird.
Selbst die Einteilung der Krankheitsursachen in fünf Kategorien – den „Entien“ – ist ein nur für dieses Werk konstruiertes Modell.
„Volumen Paramirum“ (S.1-77):
https://archive.org/details/b24867330/page/78/mode/2up?view=theater