Die Kirchenkritik des jungen Paracelsus
Nach seinem Studium in Italien und seinen Reisen durch Europa ließ sich der Anfang 30-jährige Paracelsus 1524/25 für etwa ein Jahr in Salzburg nieder. Die Reformationszeit, in der Theologen wie Luther und Zwingli ihre Kritik an der katholischen Kirche durch Flugschriften unter das Volk brachten, war in vollem Gange. Auch radikalere Stimmen, wie die der Täuferbewegungen, die jegliche kirchliche Struktur ablehnten, wurden laut.
Inspiriert wurden diese meist schriftlichen Auseinandersetzungen durch Humanisten, wie Erasmus von Rotterdam, der die materielle Gier der katholischen Kirche anprangerte. Der Klerus befand sich in der Defensive. Die Unzufriedenheit des Volkes ging quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und bot den Nährboden für soziale Unruhen.
Ein Hauptkritikpunkt an der Kirche war das exzessiv praktizierte Ablasswesen. Das Prinzip sich gegen eine Zahlung seine Sünden vergeben zu lassen, widersprach den religiösen Vorstellungen vieler. Der luxuriöse Lebenwandel des Klerus stand im Kontrast zu sozialer Not, was als Widerspruch zur ursprünglichen Botschaft Christi empfunden wurde.
Theologische Themen, die bisher innerhalb der katholischen Kirche dikutiert worden waren, lieferten nun die Basis für einen bis dato ungeheuerlichen Vorgang: Die Abspaltung einiger Gruppen von der katholischen Kirche. Luther öffnete die Büchse der Pandora, indem er Laientheologie zunächst befürwortete, worauf die reformatorische Theologie Breitenwirkung zu entfalten begann.
Die an der Diskussion Beteiligten verfassten Bücher, offene Briefe und Flugschriften, die sich aufeinander bezogen und den intellektuellen Diskurs dieser Zeit bildeten. Dank der neuen Techniken im Druckereiwesen war es möglich, Schriften tausendfach zu vervielfältigen und so einer breiten Leserschaft zugänglich zu machen. Nicht nur Gelehrte, sondern auch Handwerker und Frauen konnten nun – sofern sie des Schreibens mächtig waren – ihre Kritik an der Kirche unters Volk bringen. Offensichtlich verfolgte Paracelsus die Diskussionen sehr genau. Er hielt sich nicht nur auf dem Laufenden, sondern wollte sich zudem mit eigenen Werken daran beteiligen. So schrieb er in dieser Phase Ausführungen zur Marienverehrung, Schriften mit dezidierter Kirchenkritik und Bibelauslegungen, in denen er seine Theologie auf ein Fundament stellte. Die Bibelauslegungen sind zum großen Teil bis heute nicht veröffentlicht, sondern liegen als Abschriften in Bibliotheken in Breslau, Görlitz, Kopenhagen und Leiden.
Die Informationen zu diesem Beitrag beziehe ich in erster Linie aus der Dissertation von Ute Gause von 1993, die sich dieser Thematik angenommen hat.
Auch 1525 wurden Paracelsus’ laientheologischen Schriften weder publiziert, noch von den großen Gelehrten wahrgenommen, obgleich Paracelsus – allerdings unter einem Pseudonym – eine Bibelauslegung wohl auch an Luther versandte. Salzburg stand zu Paracelsus` Zeit unter dem strengen Regime eines Erzbischofs, der die reformatorische Bewegung kriminalisierte, was eine Veröffentlichung der paracelsischen Fundamentalkritik wahrscheinlich unmöglich machte.
Es war die Zeit der Bauernkriege und der sozialen Aufruhre. Der Theologe Thomas Müntzer predigte in Thüringen den Glauben als soziale Bewegung mit der radikalen Forderung nach Sturz der Adelsherrschaft. 1525 wurde dieser Traum mit der Schlacht bei Frankenhausen blutig beendet. Paracelsus selbst erlebte in Salzburg die Niederschlagung eines Bergarbeiteraufstandes und war möglicherweise auch darin verwickelt. Überliefert ist eine Auseinandersetzung mit dem Salzburger Erzbischof und eine Solidarisierung mit Aufrührern in Salzburger „Spelunken“. Ein Indiz für ernstere Probleme mit der Obrigkeit sind eine Reihe persönlicher Dinge, die er bei seinem Fortgang aus Salzburg in seiner Unterkunft zurück ließ, was gemeinhin als eine überstürzte Flucht interpretiert wird.
Paracelsus bezieht in seinen Schriften deutlich Stellung für die Ärmsten der Armen. Die „Reichen“ sind durchweg Angriffsziele seiner Schmähungen. Dasselbe gilt für den Stand der „Geistlichen“. Die Vertreter beider Gruppen sieht er als Diener des Teufels und demzufolge nach dem jüngsten Gericht in der Hölle schmoren. Kein Wunder also, dass Paracelsus als Laientheologe auch bei Reformatoren keine Anerkennung fand, die das Konstrukt der Kirche durchaus beibehalten und nur „reformieren“ wollten.
Paracelsus behandelt in seiner Kirchenkritik die Punkte, die die Reformatoren stark beschäftigten. Die Beziehung des Einzelnen zu Gott, der Umgang mit der Sündhaftigkeit des Menschen, die Funktion von Buße und Reue und die Legitimität von sakralen Bildern waren die aktuellen Themen der Zeit. Unterfüttert wurden die paracelsischen Thesen durch seine Auslegung des Evangeliums, in erster Linie des Matthäusevangeliums, in dem Jesus mit den „Pharisäer“, den damaligen Schriftgelehrten, aneinander geriet. Die Pharisäer stellten für Paracelsus die Vorgänger der Geistlichkeit dar. Von daher eignete sich dieses Evangelium besonders, um zeitgenössische Missstände offen zu legen.
1. „De septem punctis idolatriae christianae” (1524/1525)
Luther hatte bekanntlich 95 Thesen zu der Misere des katholischen Ablasshandels. Zwingli, der in Zürich ansässige Begründer der reformierten Kirche nennt in seiner „Schlussrede“ 67 Artikel zu Missständen in der katholischen Kirche allgemein. Paracelsus steigt mit 7 Punkten der Kritik in die Diskussion um die Legitimität der katholischen Kirche in puncto Ritual und Glaubenspraktiken ein. Umfang und Format dieser Schrift deutet darauf hin, dass Paracelsus sie als sogenannte „Flugschrift“ konzipiert hatte. Flugschriften waren in den 20er Jahren ungemein populär. Sie eröffneten auch nicht-studierten Personen die Möglichkeit, Missstände in Kirche und Gesellschaft aufzuzeigen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich Kirchen- und Gesellschaftskritik in Form von Auflistungen von Artikeln: Matthias Zell mit 24 Artikeln (Straßburg, 1522), Martin Idelhuser mit 22 Artikeln (Ulm, 1522), Otto Brunsfeld mit 150 Artikeln ebenfalls in Straßburg (1524), Jörg Vögeli mit 100 Artikeln in Konstanz (1524) u.s.w. Auch in Salzburg kursierte zeitgleich zu Paracelsus eine Flugschrift mit 24 Artikeln, die dem Unmut über den dortigen Erzbischof Ausdruck verlieh.
In seinen 7 Punkten übernimmt Paracelsus Zwinglis Begriff der „Mauerkirche“, der diese Bezeichnung wiederum aus einer mittelalterlichen Tradition der Kirchenkritik entlehnt hat. Die Mauerkirche meint die in geistloses, wenn nicht gar teuflisches Ritual erstarrten Gebete und Gesänge, welche sich hinter den Mauern der Kirche und im Reichtum der Klöster verschanzen. Auch die thematische Abfolge der Kritikpunkte folgt Zwinglis 67 Artikeln. Manche seiner Artikel fasst Paracelsus zusammen, manche lässt er weg.
In der Vorrede nimmt Paracelsus Bezug auf die gegen ihn erbrachten Vorwürfe, er habe betrunken in Spelunken gegen Kirche und Geistliche gewettert. So werde auch behauptet, er „habe nur … vernunft undter bauren (Bauern) zu reden“, die er obendrein „widerspenstig“ gemacht habe. Diese Vorwürfe feinden Paracelsus nicht an, da er aus dem „Heiligen Geist“ heraus spricht: „dann ich hab’s von mir selbs nit erdacht, was ich geredt hab, das ist aus dem heiligen geist.“ Das klingt anmaßend, aber Paracelsus macht die Verkündigung der Wahrheit nicht von seiner Person abhängig: „bin ich’s nit, so wird’s ein anderer sein.“
Punkt 1 beschäftigt sich mit der Institution der katholischen Kirche und deren Bußwesen. Da für Paracelsus der Glaube ein geistiges Phänomen ist, bewertet er den irdischen Kirchgang als vergebens. Nur vor Gott kann ein Mensch Erlösung von seinen Sünden finden und nicht durch eine Beichte vor einem Geistlichen.
Das in der katholischen Kirche praktizierte Bußwesen in der Abfolge: Reue, Beichte, Genugtuung verdreht Paracelsus. Die Reue, die traditionell die Sündenvergebung einleitete, steht im paracelsischen Denken am Ende des Bußprozesses. Diese Reue tilgt nachhaltig die Sünden, sodass eine Genugtuung, die „Strafe“, wenn man so möchte, nicht mehr nötig ist. Die Beichte vor Gott muss nicht einmal ausgesprochen werden, sondern ist ein geistiger Prozess. Mit anderen Menschen über bereute Sünden zu sprechen, ist positiv, aber nicht aus der Motivation heraus Ablass zu erlangen, sondern: „daß wir aneinander bekennen unser seligkeit, was uns begegnet ist aus der reu.“
Punkt 2 lehnt die lieblos vorgetragenen Kirchengebete und – gesänge ab. Nur „innerlich“ vorgetragene Gebete führen zur Seligkeit. Wenn lautes Beten wirksam sein sollte, dann müsste ja jedes Bittgebet erfüllt werden! Paracelsus’ Mission ist die Nahebringung zur Rückbesinnung auf die geistigen Qualitäten des Christentums. An diesem Punkt bringt er auch seine Ablehnung von gewaltsamer Missionierung zum Ausdruck: „vernicht ist der, der von wegen des unglaubens den unglaubigen ersticht“
Unter Punkt 3 lehnt Paracelsus die kirchlichen Feiertage ab, da auch sie nur geistentleertem Ritual folgen. Er bezeichnet solche Feierlichkeiten als die „Betrachtung“ des Glaubens, entscheidend jedoch sei die allzeit zu erbringende Verinnerlichung des Glaubens. „es wird die stund komben, dass euch der teufel die fest bezaln wird, dass ir ihn so schön feirn und ehren und also aus der betrachtung ein seligkeit gemacht habt.“
Punkt 4 behandelt das Fasten. Und – natürlich – als rituelle geistentleerte Pflichtveranstaltung, verurteilt Paracelsus das Fasten. Er sieht sogar dem Teufel durch diese Art des Fastens Tor und Tür geöffnet. Das freiwillige und nicht vorgeschriebene Fasten jedoch greift den Teufel an und ist also zu befürworten. Fasten ist aber nicht zwingend erforderlich und sollte nicht unter äußerlichem Druck geschehen. Abgesehen davon schaden Völlerei und Reichtum sowieso immer.
Punkt 5 hat die Almosen zum Thema. Auch hier finden wir die paracelsische Ablehnung der Vorschrift des doch eigentlich christlich gedachten Almosengebens. Vor den Kirchentüren finden sich nach Paracelsus’ Beobachtung sowieso nur Schmarotzer. Das Geben jedoch, das aus Liebe erfolgt, ist christlich und wünschenswert. Abgesehen davon ist die Seligkeit nicht durch irdische Güter zu erwerben, sondern nur durch einen geistigen Prozess. Almosen zu geben, um dadurch ins Himmelreich zu gelangen, funktioniert Paracelsus’ Ansicht nach nicht. Der Prozess erfolgt umgekehrt: Ein vom Glauben geistig durchdrungener Mensch gibt von sich aus und aus freiem Herzen ab. Die Werke des Glaubens sind Früchte, nicht Bedingung der Seligkeit.
In Punkt 6 macht Paracelsus den Rundumkahlschlag mit katholischem „Brauchtum“, wie Wallfahrten, Ablasshandel, Heiligen, Ordensgemeinschaften und auch das Weihwasser lässt Paracelsus nicht unerwähnt. Selbst das Segnen der Äcker verurteilt er. Wallfahrten zu heiligen Plätzen änderten die Menschen nicht, sondern seien zumeist Teufels Wille – es sei denn sie würden demütig absolviert. An diesem Punkt wiederholt Paracelsus noch einmal seine Ablehnung der gewaltsamen Heidenmission. Den Glauben mit dem Schwert zu verbreiten, ist teuflisch. Überhaupt ist Krieg nur zur Verteidigung legitim. Bei der Gelegenheit verdammt Paracelsus nicht nur Geistliche, sondern auch Gelehrte und Ratsherren, die scheinbar gemeinhin solchem Brauchtum Vorschub leisten.
In Punkt 7 nennt Paracelsus „die christlichen Zeichen“ als Kritikpunkt. Gemeint ist die materielle Ausstattung der Kirche jeglicher Art, die für die Praktizierung des Glaubens im katholischen Sinn unerlässlich ist. Kirchenglocken sind abzulehnen, da Gott keinen Lärm mag. Kirchenorgeln verursachen Musik, deren Leichtigkeit der Ernsthaftigkeit des Glaubens nicht gerecht wird. Die Heiligtümer und Schätze einer Kirche sind wertlos und die Kleidung der Priester „Narrerei“. Vor Heiligenstatuen und Bildern zu beten ist eine Form der Abgötterei. Wobei Paracelsus Heiligenbilder nicht völlig verwirft, sondern sie als geistige Anregung gerade für Analphabeten akzeptiert.
Und hier endet „das buch von den siben verdambten werken der christen, durch den irdischen Lucifer erdacht und das volk damit verfüert.“
Die Schrift gehörte im 16. und 17. Jh. zu den bekanntesten theologischen Schriften des Paracelsus. Tatsächlich ist sie in ihrer Plakativität einfach und leicht zu verstehen. In der Edition von Goldammer 1986 umfasst sie 57 Seiten.
Die Ablehnung jedes gemeinschaftlichen Rituals wirkt sehr rigoros. Alles gemeinhin „Schöne“ wird als „Gleisnerei“ verworfen. Damit sicherte er sich die spätere Verehrung der Pietisten. Zugrunde liegt die Überzeugung, dass nur „Innerliches“ zählt. Das führt u.a. zu der theologischen Frage der Umsetzung der „Rechtfertigung“, d.h. wie der sündige Mensch sein Verhältnis zu Gott wieder ins reine bringt. Die „Reue“ ist in diesem Prozess ein zentraler Begriff. Wie wir aus dem Alltag kennen, sollte idealerweise aus dem Reuegefühl ein Lernprozess erfolgen, der eine Wiederholung des bereuten Tuns verbietet. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass Reue leider nicht immer vor erneuter Sünde bewahrt.
In der katholischen Kirche gibt es dafür die Beichtpraxis, bei der der Sünder dem Geistlichen seine Verfehlungen beichtet und als Buße Ablass oder Almosen zahlt bzw. Fasten und Beten auferlegt bekommt. Diese Praxis lehnten die Reformatoren ab und auch Paracelsus stimmte diesbezüglich in die reformatorische Kritik ein.
Die Unterschiede zwischen Paracelsus und den Reformatoren liegen hier im Detail. Für Paracelsus ist die Liebe im Glauben die Basis für die spirituelle Vervollkommnung des Menschen. Die Reue über Verfehlungen macht eine Wiederholung der Verfehlungen unmöglich und bessert somit das Leben des Sünders. Für Luther hingegen sollte das gesamte Leben des von Natur aus sündigen Menschen im Zeichen der Reue stehen, die somit losgelöst von spezifischen Vergehen ist.
Paracelsus übergeht in seinen 7 Punkten die bei Zwingli erörterten kirchenrechtlichen Argumentationen gegen Zölibat und Kirchenbann. Auch das politische Verhältnis zwischen Kirche und weltlicher Obrigkeit interessiert Paracelsus nicht. Da er eine „äußerliche“ Kirche als Institution ablehnt, braucht es keine rechtliche Struktur.
Damit gerät Paracelsus in die Nähe zu Gruppierungen wie die der „Täufer“, die sich nach langen Disputen bereits 1523 in Zürich von Zwinglis reformatorischer Bewegung abgespaltet hatten. Benannt nach der Praxis der Erwachsenentaufe, legten sie nicht nur dem individuellen Glauben größten Wert bei, sie lehnten auch jegliche Zusammenarbeit mit der weltlichen Obrigkeit ab, bzw. sollte ein „Täufer“ kein politisches Amt ausfüllen. So weit konnten und wollten Zwingli und Luther nicht gehen. Der Erfolg der lutheranischen und reformatorischen Bewegung hing von Kooperation und Vereinnahmung der Mächtigen ab.
Das in Punkt 7 nur angeschnittene Thema zum Umgang mit sakralen Bilder und Heiligenstatuen in Kirchen hingegen findet Paracelsus so relevant, dass er ihm eine eigene Schrift widmet.
2. Die Bilderfrage
„dann kein mensch ist, das ihm ein holz für ein gott erschaffe, und ob es doch beschicht, so muß dasselbige mensch ein narr sein.“
Die Legitimität von sakralen Bildern und Heiligenstatuen als Objekte der Anbetung war auch im Mittelalter schon regelmäßig von katholischen Theologen in Frage gestellt worden. Und auch die Reformatoren nahmen sich dieses Themas an. Sind doch religiöse Statuen im Ursprung eine heidnische Einrichtung, die in Kirchen die angemessene Ehrerbietung des einen Gottes stören könnte.
Luther selbst räumte diesem Thema keine Vorrangstellung ein. Zwar proklamierte er bescheiden eingerichtete Gotteshäuser mit nur mäßigem Bildwerk, er rief aber nicht, wie einige seiner reformatorischen Mitstreiter, zur Vernichtung der sakralen Kunst auf. Für Luther erfüllten Bilder und Statuen einen didaktischen Zweck, indem sie biblische Geschichten illustrierten. Sein Wittenberger Kollege hingegen, der Theologe Bodenstein, kritisierte in einem 1522 erschienenen Traktat vehement die Praxis der „Götzenanbetung“. Auch Zwingli in Zürich verurteilte bildliche Darstellungen in Kirchen, setzte sich aber in Verhandlungen mit dem Züricher Stadtrat für eine gewaltfreie Lösung des Problems ein.
Die Entfernung sakraler Kunst aus Kirchen ging als „Bildersturm“ in die Geschichte ein. Zum großen Teil verlief er in aber geordneten Bahnen. Wenn freie Städte sich der Reformation anschlossen, veranlasste der Stadtrat die Befreiung der Kirchen von Kunst, die oft nicht zerstört, sondern verkauft wurde. Daneben gab es aber auch gewaltsame Überfälle von aufgewühlten Menschenmengen, die die Kunstwerke aus den Kirchen holten, um sie zu zerstören. So geschehen beispielsweise in Basel, wo das Volk den Stadtrat auf diese Weise nötigte, sich zu der Reformation zu bekennen.
In der Schrift „De imaginibus idolatriae“ legt Paracelsus seine Erklärungen hinsichtlich „hölzernen Abgöttern“ dar und erläutert den richtigen Umgang damit. Sie ist frühestens 1525 nach den „sieben Punkten“ entstanden und umfasst nur 9 Seiten.
Was die Akzeptanz sakraler Kunst geht, folgt er im Grunde Luther, ohne ihn zu nennen. Um dem einfachen Menschen die Botschaft der Bibel näher zu bringen, sind Bilder und Statuen geradezu unerlässlich. Über die Betrachtung von Bildern kann sich Bedeutung vermitteln. Sie „seindt bedeutungen, das über die vernunft ist.“ Paracelsus verurteilt sogar das Verbrennen der Bilder, indem er den Bilderstürmern ihrerseits das Brennen im ewigen Höllenfeuer in Aussicht stellt.
In der paracelsischen Logik können Bilder und Statuen in der Seele des Menschen keinen Schaden anrichten, weil sie nur materielle Dinge sind. Eine ungesunde Anbetung der Bilder wird nicht durch die Bilder selbst verursacht, sondern ist eine Folge der geistigen Verfassung des Betenden. Die Zerstörung von Bildern packt also das Übel nicht bei den Wurzeln, das in der veräußerlichten Lebensweise der Menschen liegt. Der Gläubige soll beim Beten allein sein Herz pflegen und sich nicht von Äußerlichkeiten ablenken lassen. Von daher ist die Andacht vor einem „Götzen“ abzulehnen.
An dieser Stelle legt Paracelsus eine interessante Annahme zu den Möglichkeiten des menschlichen Geistes dar. Wenn ein Betender von einer Heiligenstatue Hilfe erfleht, die dann tatsächlich auch gewährleistet wird, so hat die Erfüllung des Wunsches nichts mit dem Heiligen zu tun, sondern entspringt der Vorstellungskraft des menschlichen Geistes. Diese magische Fähigkeit liegt also im Menschen selbst und ist trotz ihrer geistigen Natur an den menschlichen Körper gebunden. Diese Prozesse haben beim Gebet nichts zu suchen, da ein Gebet die innere seelische Vervollkommnung und Gott suchen sollte. Abgesehen davon ist so ein Ereignis aber harmlos: „dann zauberei tut der seel kein schaden.“
Im Übrigen traut Paracelsus den Menschen durchaus zu, den Unterschied zwischen Gott und einem bemalten Stück Holz zu kennen. Wegen einiger Narren, die das nicht können, sondern Statuen tatsächlich als Gott anbeten, habe Gott das Verbot der Götzenanbetung nicht erlassen, wie Paracelsus gleich in den ersten Zeilen seiner kleinen Schrift klarstellt.
Das klassische Beispiel für Götzenanbetung ist die alttestamentarische Geschichte vom goldenen Kalb. Während Moses auf den Berg Sinai stieg, um dort von Gott die 10 Gebote zu empfangen, fertigte das Volk Israel eine Kälberstatue aus Gold an, um die Moses seine Leute tanzen sah, als er wieder vom Sinai hinab stieg. Moses war darüber so erbost, dass er die Tontafeln, in die die Gebote geritzt waren, zerschmetterte. Bei der erneuten Niederschrift der Gebote, wurde gleich im ersten Gebot ausführlich klar gestellt, dass es nur einen Gott zu geben hat, von dem kein Bildnis erschaffen werden darf.
Diese Geschichte wurde von allen bilderfeindlichen Reformatoren gerne bemüht. Auch Paracelsus greift sie auf und überträgt sie auf seine ganz spezielle Art in die neue Zeit, die durch und seit Jesus angebrochen ist. Das goldene Kalb steht nicht für materielle Heiligenstatuen oder Bilder, sondern für Bilder „von blut und fleisch“. Die neuen Götzen für Paracelsus sind Menschen, die sich unangemessen herausgeputzt kleiden, sich an Gottes Statt gesetzt haben und eine falsche Lehre verbreiten. Also niemand anderes als die Geistlichkeit, die Bischöfe und Päpste, erkennbar an ihrer Kleidung, sind mit dem goldenen Kalb gemeint! Die Geistlichen sind die Propheten des Teufels, die die Menschen mit falschen Gottesdiensten verführen und in die Verdammnis bringen. Nur die hölzernen Bilder aus den Kirchen zu werfen, ist zu kurz gegriffen.
Paracelsus ruft nicht explizit dazu auf, Geistliche gewaltsam aus den Kirchen zu entfernen, obwohl er darauf hinweist, dass auch Jesus menschliche Krämer aus dem Tempel vertrieben hat. Sein Anliegen ist kein gewaltsamer Akt. Bischöfe sind ja sowieso auch nur Ausdruck einer veräußerlichten Welt und von daher nicht wichtig für das Seelenheil. Paracelsus’ Anliegen ist es, die Botschaft zu transportieren, dass es darum geht den inneren Tempel zu säubern. Jeder einzelne Mensch sollte „ ein bischof in dem geist “ werden und sein Herz rein halten z.B. von Hurerei, Totschlag oder Blasphemie. Es ist wie ein Versprechen auf Autonomie. „ir werdets selbst sein und euch selbs schnitzen, was ir bederft.“
Auch Luther bezeichnet bereits 1520 („An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“) Geistliche als „Götzen“, die die Seelen ermorden. Etwas später interpretiert Luther ein 1522 geborenes missgebildetes Kalb aufgrund seines Fells, das einer Mönchskutte ähnelte, als „Mönchskalb“. Unter Mönchskutten verbirgt sich demzufolge für Luther das Goldene Kalb. Wiederum in einer anderen Schrift bringt Luther die Geistlichen mit dem Teufel in Verbindung, indem er sie als des „Teufels Boten“ und als seinen „Statthalter“ bezeichnet („Wider den falsch genannten geistlichen Stand des Papsts und der Bischöfe“,1522).
Die Verteuflung des geistlichen Standes und die Titulierung als „Götzen“ war also durch Luther und auch andere schon vorgezeichnet worden. Während Luther allerdings die Missbräuche der kirchlichen Ämter mit dem paulinischen Ideal des würdigen Bischofsamtes kontrastiert, kommt Paracelsus zu dem Schluss, dass der geistliche Stand an sich funktional nicht tragbar und nicht im Sinne des wahrhaftigen Glaubens ist.
Paracelsus’ Ziel war im Gegensatz zu Luther und Zwingli keine Kirchenreform. Ihm war an der Verinnerlichung des Glaubens gelegen, die jeder Mensch für sich alleine und in der Stille vollziehen sollte. Da Menschen immer aus Fleisch und Blut sind, wären sie – so kann man es wohl verstehen – auch gar nicht in der Lage ein geistliches Amt zu bekleiden.
Die Trennung zwischen „Innerlichkeit“ und „Äußerlichkeit“ in der Ausübung des Glaubens war ein Thema, das die deutschen mittelalterlichen Mystiker stark beschäftigte. Hier zu nennen wäre v.a. Johannes Tauler, dessen Predigten 1508 publiziert wurden. Tauler propagiert Demut und innere Einkehr als Weg, um Gott nahe zu kommen. Seine Predigten hatten einen großen Einfluss auf Reformatoren jeglicher Couleur, so dass man davon ausgehen kann, dass sie auch Paracelsus bekannt waren.
Paracelsus trennt also zwischen der „äußerlichen“ Welt, also dem Körper, den materiellen Dingen und der „inwendigen“, die in jedem einzelnen Menschen liegt und in der Sicherheit des christlichen Glaubens gebettet ist. Die inwendige Welt ist die wertvollere – nicht mal hölzerne Götzen können ihr etwas anhaben! Sein Postulat ist die Verinnerlichung des Glaubens.
3. Der Glaube ist Leben, das Gesetz der Tod
„…aber die lieb, so du hast, und der glaub, so du hast, die machen dich selig und nit die gehorsamkeit der gebott…“
Das „Liber de iustitia“ (1524/25) ist eine sehr süße Schrift. Sie umfasst 13 Seiten und ist ein Plädoyer für die emotionale Wahrhaftigkeit in Liebe und Glauben. In ihr befürwortet Paracelsus auch gegenüber einem Mörder das Nahebringen des Glaubens, anstatt ihn zu rädern. Ebenso die Forderung an die Reichen ihre Güter zu verschenken, fehlt hier nicht. Kurioserweise beschäftigt Paracelsus hier eine zeitgenössische Praxis, die er als ungerecht empfindet, nämlich dass Unzucht mit Nonnen härter bestraft wird, als Unzucht mit anderen Frauen. Und das Gebot nicht ehezubrechen, ist unselig, „wann du (es) nicht inwendig im herzen heltst“.
Die zugrunde liegenden theologischen Fragestellungen betreffen die Frage nach der Legitimität der Gesetze und dem richtigen Weg zur Seligkeit. Für Paracelsus ist das Erscheinen von Jesus Christus insofern eine Zeitenwende, als dass bis dahin nur die alttestamentarischen Gesetze Gültigkeit hatten. Diese Gesetze betrafen und betreffen nur den materiellen Körper. Seit Jesus sind diese Gesetze jedoch überflüssig geworden.
Jesus gibt uns nun an die Möglichkeit „inwendig“ vom Herzen aus zu leben. Glaube und Liebe sind jetzt die selig machenden Instrumente. Nicht das Befolgen von Gesetzen oder gute Werke bringen den Menschen Gott näher. Gute Taten ergeben sich vielmehr als Folge eines aufgeräumten Seelenzustands in Liebe zu Gott. Dem negativ konnotierten „Gesetz“ stellt Paracelsus die „Gerechtigkeit“ gegenüber. Diese ist die seelische Sphäre, auf die es ankommt. Da, wo der Glaube ist, ist das ewige Leben. Da, wo das Gesetz herrscht, der körperliche Tod. Der gesetzestreue Gehorsam ist nicht erstrebenswert: „in der gehorsamkeit ligt kein seligkeit“.
Aus dem wahren Glauben heraus ergeben sich die guten Taten von alleine, z. B. seine Güter den Armen zu geben oder Sünder wieder zum Glauben zu führen.
Demzufolge sind Bestrafungen auch für kriminelle Vergehen nur äußerliche Maßnahmen und können keine Gerechtigkeit herstellen. Gott verurteilt keine Sünden, sondern lediglich die Ferne zu ihm. Nur wenn der Sünder zum Glauben findet, kann er die Sache wieder in Ordnung bringen. Aus der inneren Haltung heraus entsteht dann Reue, die die Sünde tilgen kann.
Für seine „innere“ Welt ist jeder Mensch selbst und alleine zuständig. Die Fähigkeit zur Selbstverantwortlichkeit traut Paracelsus jedem Menschen zu. Gewissermaßen eine „antiautoritäre“ Sicht, in dem Sinne, dass Strafen nicht zur Einsicht bringen und dem Bestraften keine Entwicklungsmöglichkeit bieten.
Der Begriff „Gerechtigkeit“ für die seelische Existenzweise des Menschen ist hier völlig losgelöst von irdischer Rechtsprechung und Gesetzen. Er meint vielmehr den Zustand Gott gerecht zu werden.
Diese Sichtweise ist nur möglich durch den Glauben an eine Verflechtung zwischen Gott, Jesus und den Menschen. Durch Jesus, der ja eine Materialisierung Gottes darstellte, wurde ein Prozess in Gang gesetzt. Von diesem Moment an sind alle Menschen in der Lage, durch Verinnerlichung des Glaubens einer Seligkeit teilhaftig zu werden, die keiner Gesetze bedarf.
Die irdische Rechtsprechung ist nach Paracelsus’ Auffassung nicht legitim. Es steht weder Priestern noch Richtern zu, Strafen zu verhängen. Im Grunde macht bspw. ein Mörder sich nicht den Gesetzen, sondern sich selbst gegenüber schuldig, weil er sich selbst im Glauben getötet hat.
Auch vor Jesus’ Geburt waren die Menschen schon nicht fähig den Gesetzen gerecht zu werden. Alleine Jesus Christus konnte dank seiner göttlichen Natur das Gesetz erfüllen. Durch seine Anwesenheit in der menschlichen Welt, ist es nun dem Gläubigen möglich, Jesus „gleichförmig“ zu werden, und sich damit ebenfalls einer Gesetzeserfüllung anzunähern.
Aufgrund des Aufbaus und der Thematik der Schrift wird vermutet, dass Paracelsus sich für „Liber de iustitia“ von der lutherischen Freiheitsschrift (1520) hat inspirieren lassen. Auch Luther beschreibt den „zweigeteilten“ Menschen. Nur spricht Luther nicht von dem „inneren“ und dem „äußeren“ Leben, sondern von dem Paradox, dass ein Christenmensch ein „freier Herr“ und „dienstbarer Knecht“ zugleich sein kann. Der sündige Mensch ist für Luther komplett von der Gnade Gottes abhängig. Durch gute Taten kann der Mensch Gott nicht bestechen. Gute Werke und Nächstenliebe sind Folge des durch die Gnade Gottes geläuterten Menschen.
Die „Werkgerechtigkeit“, also das Abarbeiten von Sünden durch gute Taten, lehnte Paracelsus ebenfalls ab. Und auch was die sichtbaren Taten angeht, folgt Paracelsus Luther: Ein gläubiger Mensch handelt aus sich selbst heraus gut.
Ein gewichtiger Unterschied zwischen Paracelsus und Luther besteht in der Beurteilung von Gesetzen. Für Luther haben Gebote und Gesetze durchaus Sinn. An ihnen kann sich der Mensch orientieren. Sie geben Hilfen in der Trennung zwischen gutem und schlechtem Verhalten.
Für Luther ist das Wort Gottes existentiell für die Seele, während Paracelsus der Bibel nicht die größte Relevanz beimisst. Der seelisch erfahrbare Glaube ist nicht geknüpft an gesprochene oder gedruckte Worte.
Auch wenn Paracelsus die Gnade Gottes als Voraussetzung für die Rechtfertigung ansieht, implizieren seine Ausführungen Entscheidungsmöglichkeit zwischen einer verinnerlichenden, guten und der oberflächlichen, schlechten Existenzweise zu. Dieser Punkt war später einer der Differenzen zwischen den Anhänger Luthers und Melanchthons. Auch Melanchthon legte Wert darauf, dem Menschen Entscheidungsspielraum zuzutrauen. Noch im 16.Jhdt. einigten sich beide Parteien und fanden nach etlichen Disputen 1577 in der „Konkordienformel“ einen Kompromiss. Viele der Artikel dieses Schriftstückes sind identisch mit den Themen von Paracelsus. Es geht um die Gerechtigkeit vor Gott, um den freien Willen, um die Kirchenbräuche, um gute Werke, um Gesetze und die Person Christi – die heiß diskutierten Themen des 16.Jhdts.
Das unabdingbare Werkzeug für Reformatoren jeglicher Couleur war die Bibel. Geschichten und Gleichnisse von Jesus und vor allem deren Interpretationen waren der Stoff, mit dem Thesen begründet und Handlungsanweisungen untermauert wurden. Auch Paracelsus bediente sich des Genres der „Auslegungen“.
4. Die Auslegung des Matthäusevangeliums
Von den vier Evangelien des Neuen Testaments konzentriert sich Paracelsus auf das Matthäusevangelium. In dieser Version ist die Auseinandersetzung mit Pharisäern und Schriftgelehrten zentral und bietet somit eine Vorlage für die Kritik an Geistlichen.
Ich vergleiche im Folgenden die biblischen Kapitel des Evangeliums mit den Interpretationen des Paracelsus, um sein Anliegen deutlich zu machen. Da seine Auslegungen bis heute nicht publiziert sind, kann ich nur auf die Arbeit von Ute Gause zurückgreifen.
4.1. Kapitel 1-5
1525 schrieb Paracelsus unter dem Pseudonym „Heremita“ eine Auslegung zu den ersten fünf Kapiteln dieses Evangeliums, die sogenannten „frühen Ausarbeitungen zum Matthäuskommentar“. Dazu verfasste er einen Begleitbrief an Luther und Melanchthon, mit der Bitte um ein Urteil und der Ankündigung weiterer Bibelauslegungen. Ein Bote überbrachte die Schriften und sollte wohl eine Antwort zurückbringen, die er allerdings nicht erhielt. Es gibt auch keinen Beleg, dass die Prominenz die Auslegung wahrgenommen hat.
Vielleicht um die Reformatoren nicht zu sehr vor den Kopf zu stoßen, hält sich Paracelsus in der Auslegung mit der Ablehnung der Institution Kirche zurück, sondern beschränkt sich auf die Verteuflung der katholischen Kirche.
Die Verinnerlichung des Glaubens ist auch hier sein Hauptanliegen. Darauf fokussiert klopft Paracelsus die Bibelstellen ab. Es geht Paracelsus nicht um den buchstäblichen Wortsinn der Bibel, sondern er sucht Parallelen zu seiner gegenwärtigen Zeit, um seine Botschaft zu illustrieren und zu untermauern.
Die ersten fünf Kapitel des Neuen Testaments handeln von Jesu Geburt, seine Taufe, die Versuchung durch den Teufel und gehen bis zum ersten Drittel der Bergpredigt. Ich beschränke mich auf eine Auswahl von Textstellen, die beispielhaft für die paracelsische Logik ist.
Das erste Kapitel beginnt mit dem Stammbaum des Josef, der bis auf Abraham zurückgeht. Diese Blutslinie hält Paracelsus für irrelevant, da ja nicht Josef der Vater von Jesus ist, sondern Gott. Vielmehr interessiert sich Paracelsus für die innewohnende Zahlenfolge und prophezeit das Jüngste Gericht in zwei Mal 1400 Jahren! Die Angabe eines präzisen Zeitpunkts für das Ende der Welt ist eigentlich sehr untypisch für Paracelsus. In späteren theologischen Texten vermeidet er klugerweise solche Voraussagen, obwohl er später das Jüngste Gericht doch eher in einer näheren Zukunft kommen sieht.
Ganz wichtig ist es Paracelsus klarzustellen, dass Josef mit Maria niemals Geschlechtsverkehr hatte, und die Jesus’ „Geschwister“ aus Josefs erster Ehe stammten.
König Herodes in Jerusalem zu der Zeit von Jesus’ Geburt, steht sinnbildlich für die Herrschenden zu Paracelsus’ Zeiten. Die gläubigen Christen leben wie Jesus selbst, arm und verachtet, während sich die Obrigkeit mit der römischen Kirche arrangiert und die Christen verfolgt. Damit meinte Paracelsus wohl die Ablehnung der Reformation durch den Papst.
Die drei Weisen aus dem Morgenland waren Magier, die durch das „Licht der Natur“ den Stern von Bethlehem richtig gedeutet und somit Jesus gefunden haben. Ihre Geschenke, Myrrhe, Weihrauch und Gold kann Jesus allerdings nicht angenommen haben, da es sich um materielle Dinge handelt, durch die sich das Wunder von Jesus’ Geburt nicht erschließen kann.
Die Wüste, in der Johannes der Täufer die Gläubigen und Jesus taufte, steht nach Paracelsus’ Ansicht für den Zustand des Volkes, das von den Priestern verführt worden ist. An dieser Stelle wütet Paracelsus über die Klöster, in denen seiner Meinung nach dem Teufel zugejubelt wird, und beschreibt, wie eine wahre Kontemplation auszusehen hat. Es ist eine der wenigen Stellen, die eine Ahnung vermittelt, was Paracelsus unter „Verinnerlichung“ versteht: „Aller Verstand, Sinn und Gedanken, Witz und List sollen im Menschen tot sein.“ Also nicht nur negativer Gedanken soll man sich entledigen, sondern jeglicher gedanklicher Aktivitäten, ähnlich wie in fernöstlichen Meditationspraxen. In christlichem Vokabular ausgedrückt, ist nach Paracelsus, dies der Weg, um das Himmelsreich zu gewinnen. Dieses „Leeren“ des Geistes hat sich jedoch nicht Paracelsus ausgedacht, sondern findet sich bereits in der mittelalterlichen Tradition deutscher Mystiker.
Über die Taufe selbst, schreibt Paracelsus, dass sie mit klarem Wasser und nicht mit Weihwasser vollzogen werden sollte. Die Taufe war ein großes Thema in der Reformationszeit. Die Täufer vollzogen die Erwachsenentaufe um die „Reinwaschung von Sünden“ im bewussten Zustand möglich zu machen. Auch Paracelsus spricht von der Vergebung der Sünden, die durch die Taufe ermöglicht wird. Ob bei Erwachsenen oder Kindern wird nicht explizit deutlich. Er legt den Schwerpunkt auf die auch von den Reformatoren ausgedrückte Ablehnung des Weihwassers, das als katholischer Hokuspokus dem Teufel Tor und Tür öffnet.
Die Buße ist für Paracelsus die Voraussetzung für die Taufe, was ja eigentlich die Notwendigkeit der Erwachsenentaufe impliziert. Die Buße besteht aus dem Sündenbekenntnis vor Gott und einer daraus resultierenden sündenfreien Lebensweise. Paracelsus hatte die Evangelienübersetzung und -auslegung von Erasmus von Rotterdam vorliegen, der auch schon Luther inspiriert hatte. Aus der Bußpredigt von Johannes dem Täufer folgert Erasmus, dass festgeschriebene Strafen für Sünder abzulehnen seien, und befürwortet das individuelle In-Sich-Gehen und Bereuen des alten Lebens. Diese Gedanken hat Paracelsus – wie wir schon gesehen haben – aufgegriffen und potenziert. Dass die Evangelienkommentare von Erasmus die Basis für die paracelsischen Auslegungen darstellen, wird deutlich an der Diskussion zu der Übersetzung des Wortes „Heuschrecken“. Dass Johannes der Täufer in der Wüste von Heuschrecken gelebt hat, hielten viele Gelehrte für einen Übersetzungsfehler. Erasmus legt ausführlich die verschiedenen Standpunkte dar und schließt sich der Meinung an, dass Johannes doch eher „junge Zweige“ gegessen hätte.
Paracelsus übernimmt in seiner Auslegung sowohl die Diskussion, als auch den Standpunkt Erasmus’, ohne seinen Namen allerdings zu nennen. Auch Paracelsus möchte sich nicht vorstellen, dass Johannes der Täufer Heuschrecken gegessen hat, und stellt lapidar fest, dass Heuschrecken allenfalls als Medizin taugten.
Anhand von Johannes dem Täufer, dessen asketischer Lebenswandel eine Folge seiner Heiligung war, verdeutlicht Paracelsus, dass körperliche Entbehrungen keinen seligen Geist verleihen, sondern umgekehrt. Die katholischen Büßerorden, deren Mitglieder sich zu einem asketischen Leben verpflichten, sind von daher abzulehnen.
Nach vierzig Tagen Fasten in der Wüste wird Jesus vom Teufel versucht. Für Paracelsus der Beweis, dass Fasten den Teufel anlockt. Da der Teufel nicht weiß, was im Inneren eines Menschen vorgeht, brauche er ein bestimmtes Verhalten, um auf eine Person aufmerksam zu werden. Dazu gehört, als eine auf den Körper ausgerichtete Tätigkeit, das Fasten. Vorbildhaft sei aber Jesus’ Geduld, mit der er dem Teufel widersteht. Jesus wird aufgefordert, zum Beweis seiner Göttlichkeit aus Steinen Brot zu machen. Jesus tut es nicht, mit der Begründung, dass der Mensch nicht vom Brot allein, sondern vom Wort Gottes lebt. Eine ideale Vorlage für Paracelsus, um die überlegene Position des Geistes Christi gegenüber dem Körper darzulegen. Er folgert daraus, dass Worte, die ein Mensch aus dem Geiste Christi heraus spricht, genauso wertvoll seien, wie die geschriebenen Worte in der Bibel. Damit widerspricht er dem reformatorischen Schriftprinzip, das der Bibel den obersten Wert beilegt, und gibt der Möglichkeit einer unmittelbaren Geisteingebung Raum. Paracelsus formuliert zunächst sogar eine Art Verschmelzung mit Gott: „…dann wir reden aus gott, so wir aus gott sein, darumb wir götter sein.“ Um dem möglichen Missverständnis einer Vergöttlichung des Menschen zuvor zu kommen, stellt er im Fortgang der Geschichte aber gleich klar, dass alleine Gott angebetet werden darf. Und so wie Christus den Sieg über den Teufel behalten hat, würden im Übrigen eines Tages die Kinder Christi den Sieg über die Kinder des Teufels erlangen.
Das gemeine Volk, das Jesus nach den Krankenheilungen folgt, sieht Paracelsus als Hinweis darauf, dass nicht Schriftgelehrte, sondern einfache Menschen die Liebe zur Wahrheit besäßen.
Paracelsus interpretiert die Seligpreisungen der Bergpredigt wortwörtlich, in dem Sinne, dass wirklich nur buchstäblich Arme selig sind. Reichtum verhindert den Eintritt ins Himmelreich grundsätzlich. Allerdings sind Arme nicht per se gute Menschen, sondern auch unter ihnen gibt es Personen, die den Geist des Teufels besitzen. Voraussetzung für die Seligkeit ist ein „mildes“ Herz, wobei Paracelsus hier Luthers Übersetzung „sanftmütig“ ablehnt. Das „milde“ Herz setzt Paracelsus in Kontrast zu dem „harten“ Herz, z.B. der „phariseer und klösterleut“, in die der Geist Gottes nicht eintreten wird.
Der Geist Gottes ist mit den körperlich Leidenden. Durch Hinnehmen des Leidens nährt der Gläubige die Seele, die kostbarer ist als der Körper. Durch Nahrungsentzug kann sogar der Hunger nach göttlicher Gerechtigkeit angeheizt werden, während ein Leben im Überfluss von der Gerechtigkeit ablenkt. Das Leiden bis hin zum Martyrium gehört zum Leben eines Christen.
Paracelsus betrachtet den Körper eindeutig als der Seele gegenüber minderwertig. Trotzdem sollte er geachtet werden, weil Gott möchte, dass weder Mensch noch Tier Unrecht geschieht.
In seiner Bergpredigt lehnt Jesus das Schwören bei Himmel, Erde oder dem eigenen Haupte ab, weil der Mensch dadurch seine Befugnisse überschreitet. Paracelsus interpretiert diese Textstelle als Absage an den freien Willen des Menschen, weil der Mensch durch das Schwören so tut, als könnte es aus seinem freien Willen etwas tun, was er aber nicht kann, da Gott alleine entscheidet.
Die Entscheidung zwischen verinnlichtem guten und veräußerlichtem schlechten Glauben hat für Paracelsus also paradoxerweise nichts mit einem „freien Willen“ zu tun.
Er bleibt hier dem lutherischen Standpunkt verhaftet, dass alleine Gott über den Weg eines Menschen entscheidet. Beide, Luther und Paracelsus, folgen hier inhaltlich einer 1437 verfassten und bis 1526 mehrfach aufgelegten Schrift des italienischen Humanisten Laurentius Valla. Und für Valla lässt die Realität des christlichen Offenbarungsglaubens keinen freien Willen zu.
Hier schließen die frühen Ausarbeitungen zu Kapitel 1 – 5 des Matthäusevangeliums. Wir finden darin die Verteuflung der Kirchenvertreter und Reichen wieder und auch die „verinnerlichte“ Beziehung zu Gott als wesentliche Grundlage für den Glauben.
Die Höherbewertung des Geistprinzips predigte zur selben Zeit auch der Theologe Thomas Müntzer in Thüringen, dessen Kirchen großen Zulauf hatten. Auch die Fokussierung auf die Armen, deren Zustand nach Gerechtigkeit schreit, ist Paracelsus und Müntzer gemein. Während Müntzer jedoch die apokalyptische Endzeit schon angebrochen und damit die Notwendigkeit zum Bauernaufstand gegeben sah, hielt sich Paracelsus dahingegen zurück. Paracelsus veranschlagt das Ende der Zeit und das Jüngste Gericht erst in der fernen Zukunft und propagiert mehr den passiven Widerstand.
Das körperliche Leiden ist immer wieder Thema. Mutwillig herbeigeführt, wie das Fasten, ist es bedenklich, weil es den Teufel anzieht. Hungern, aus Not heraus, bringt jedoch den Menschen Jesus näher.
In der Bergpredigt findet sich auch ein Abschnitt, in dem Jesus sehr betont, nicht gekommen zu sein, um die Gesetze aufzuheben. Im „Liber de iustitia“ hingegen erklärt Paracelsus Gesetze für aufgehoben. Von daher wäre eine Interpretation dieser Zeilen interessant gewesen; leider übergeht Paracelsus aber diese Stelle, bzw. taucht sie in Ute Gauses Arbeit nicht auf.
4.2. Kapitel 6 – 23
Der „Anhang zum frühen Matthäuskommentar“ ist als Fortsetzung der „frühen Ausarbeitungen“ zu verstehen und behandelt die Kapitel 6 bis 23 des Evangeliums. Zwischen diesen beiden Schriften liegt die Niederlage der Bauern im Bauernkrieg im Sommer 1525 und der Beginn einer mörderischen Verfolgung der Täufergemeinden. Paracelsus weist nicht direkt auf diese Vorgänge hin, es lässt sich aber an manchen Stellen indirekt eine Kritik daran ablesen.
Die letzten fünf Kapitel des Evangeliums, die von Abendmahl, Kreuzigung und Auferstehung von Jesus erzählen, lässt Paracelsus weg – vermutlich, weil er sich thematisch neben der Kirchenkritik, insbesondere für die praktischen Anweisungen bezüglich Nächstenliebe, Armut und geduldiges Leiden interessiert. Fokussiert auf diese Aspekte behandelt Paracelsus auch nicht jeden Vers, sondern konzentriert sich auf die Reden Jesu, um die in seiner Interpretation „wahre Botschaft“ herauszukristallisieren.
Kapitel 6 beginnt mit dem Almosengeben, wobei Paracelsus Jesus wortwörtlich folgt, indem er propagiert, dass Almosen nicht öffentlich gegeben werden sollten. Darüber hinaus schlägt Paracelsus vor, Bedürftigen Arbeit zu geben, so dass sie sich selber ernähren können, was den zusätzlichen Effekt hat, die Armen vor dem Teufel zu schützen, „denn der arbeiter ist dem teufel mit nichten unterworfen, aber der müßig gehend alle stund und tag“.
Auch das Beten, wie wir ja bereits gehört haben, sollte nicht laut vollzogen werden. Nur die Heuchler beten öffentlich! Bis auf das „Vater unser“ sind auch keine vorgeschriebenen Gebete oder gar Gesänge runterzubeten. Überhaupt werde das wahre Gebet nicht mit dem Mund, sondern mit dem Herz vollzogen. Auch die Ausführungen zum Fasten kennen wir bereits aus den „sieben Punkten“. Fasten ist keine christliche Handlung; nicht den Leib sollten wir fordern und kasteien, sondern unseren Geist. Leib und Materie sind nicht das Wesentliche unserer Existenz. In dem Sinne ist auch das Anhäufen irdischer Güter abzulehnen. In Kapitel 6 findet sich das berühmte Gleichnis über die Vögel auf dem Felde, die von Gott ernährt werden. Paracelsus führt aus, dass nur die selig sind, die sich nicht um den nächsten Tag sorgen, sondern auf Gott vertrauen. Er versteigt sich sogar zu der Aussage, dass auch diejenigen, die gegen Hagel und Unwetter Kornkästen bauen, des Teufels seien.
An der Stelle führt er wieder einen vernichtenden Seitenhieb zu den Geistlichen aus, die materiellen Genüssen frönen. Würde der Geistliche Gott dienen und nicht dem Teufel, „er vergrübe sein herz nicht in der küche, keller, huren, junge frauen, ornat, zins, gült und sein silbern seckel.“
Der menschliche Leib wird zwar mit dem Teufel in Verbindung gebracht, aber gleichzeitig erkennt Paracelsus ihn als Produkt der Natur an. Die Natur wiederum bezeichnet er als irdischen „Schatz“, durch die Gott sich offenbart, so dass der Körper als göttliche Schöpfung indirekt doch eine Anerkennung erfährt.
In Kapitel 7 haben wir die bekannte Stelle der Bergpredigt, in der Jesus seine Zuhörer auffordert, ihre Perlen nicht vor die Säue zu werfen. Theologen interpretieren dies im Allgemeinen dahingehend, dass Heiliges nicht profanisiert werden sollte. Paracelsus hingegen interpretiert die Säue als Priester und Mönche, die die Menschen zerfressen, zertreten und deren Herzen aussaugen. Zum Thema Gebete erklärt Jesus dann: „suchet, so werdet ihr finden“. Damit wird Mut gemacht, dass Gebete erhört werden. Paracelsus führt an der Stelle weiter aus, dass Gebete nicht an andere delegierbar, sondern selbst zu absolvieren sind. Er kritisiert hier die in der katholischen Kirche praktizierten Fürbittengebete, die gegen einen Obolus von Geistlichen durchgeführt werden können. Die nun – immer noch in der Bergpredigt – folgende Warnung vor falschen Propheten, die als Wölfe im Schafspelz daherkommen, ist für Paracelsus natürlich ein gefundenes Fressen. Aber am Ende – so beruhigt er den Leser – werden die Geistlichen in der Hölle am Galgen schmoren.
Die in Kapitel 8 und 9 nach der Bergpredigt folgenden Erzählungen über Jesus’ Wunderheilungen übergeht Paracelsus und setzt erst bei Kapitel 10 wieder ein, in dem Jesus seinen 12 Jüngern ihre Mission darlegt. Diese besteht in Krankenheilung, Teufelsaustreibung und Totenerweckung, wobei ausdrücklich keine Gegenleistung zu nehmen ist und überhaupt generell die Entsagung materieller Güter gefordert wird. In Bezugnahme zu der kirchlichen Praxis seiner Zeit fügt Paracelsus hinzu, dass das selbstredend auch Verzicht auf Ablassbriefe und Bettelordentum bedeutet.
Jesus prophezeit seinen Jüngern, dass sie um seinetwillen Hass und Verfolgung ausgeliefert sein werden, obwohl sie aus dem heiligen Geist heraus sprechen. Paracelsus interpretiert dies relativ frei, dahingehend, dass jeder Mensch seinen eigenen Weg zur Wahrheit finden sollte und sich statt von Menschenlehren von dem heiligen Geist leiten lassen sollte. Denn nur dieser ist ein Garant für Frieden und den Weg ins Himmelreich!
In Kapitel 11 droht Jesus den Städten Israels mit dem Jüngsten Gericht, weil sie ihm die Anerkennung versagen und endet mit dem Aufruf an die Menschen sein „Joch“ zu tragen. In seiner Sanftmut und Demut, so behauptet Jesus, können die Menschen Ruhe für die Seele finden. Paracelsus greift dieses Bild auf und interpretiert das Joch nicht negativ als Zwang oder Last, sondern als positives Bild der Liebe, die den Menschen nicht verlässt und die er mit Freuden trägt.
Kapitel 12 und 13 berichten überwiegend von den Gleichnissen, in denen Jesus spricht und die Paracelsus übergeht. Kapitel 14 beginnt mit dem Tod Johannes des Täufers, dessen Kopf Herodes einer Tänzerin darbietet. Johannes steht nach Paracelsus für die Wahrheit, die von Herodes als Symbol für die weltliche Gewalt, getötet wird. Ute Gause hält es für möglich, dass Paracelsus an der Stelle unausgesprochen auf die Verfolgung der Täufersekten anspielt, gegen die strafrechtlich vorgegangen wurde. In seiner Trauer um Johannes zieht sich Jesus, gefolgt von 5000 Mann, in eine einsame Gegend zurück, wo er alle 5000 plus Frauen und Kinder mit fünf Broten und zwei Fischen speist. Paracelsus hält die Speisung auch der Frauen und Kinder für bemerkenswert, denn eigentlich seien nur Männer in der Lage ein aktives Gottesverständnis aufzubauen.
In Kapitel 15 fragen die Schriftgelehrten Jesus, warum er und seine Jünger sich nicht vor dem Essen die Hände waschen, so wie es die Satzungen der Ältesten erfordern. Jesus erklärt daraufhin ausführlich alle Speisegebote für aufgehoben, da nicht das, was in den Mund hinein geht, unrein macht, sondern nur das, was aus dem Mund heraus kommt, wie z. B. Gotteslästerungen! Überhaupt würden zusätzliche „Satzungen“ missbraucht, um die 10 Gebote zu verwässern und zu umgehen. Es käme vor allem und in erster Linie darauf an, Gott von Herzen zu dienen. Händewaschen vor dem Essen auszulassen könne demzufolge gar nicht unrein machen.
Diese Stelle betrifft, hinsichtlich der Forderung nach Taten aus dem Herzen ein vielfach diskutiertes Thema der Reformationszeit. Ausführlich nimmt Paracelsus Stellung gegen die „Werkgerechtigkeit“, also die guten Werke, die nicht aus Liebe und von Herzen gemacht werden. Diese seien sinnlos und führten nicht ins Himmelreich. Jesus prophezeit an der Stelle den Schriftgelehrten in die Grube zu fallen, in die sowieso alles fällt, was in den Mund hinein gegangen ist. Paracelsus ergänzt die Prophezeiung hinsichtlich zeitgenössischer Richter, die infolge ihrer Todesurteile ihrerseits mit dem ewigen Tod bestraft sein werden. Auch hier ist es möglich, dass Paracelsus auf die Täuferurteile anspielt, deren Verfolgung sich 1526 zuspitzte.
Zu Beginn von Kapitel 16 fordern die Pharisäer ein himmlisches Zeichen von Jesus zum Beweis seiner Gottessohnschaft. Jesus lehnt das natürlich ab und ermahnt in der Folge auch seine Anhänger vor Kleingläubigkeit.
Paracelsus schweift hier ab und erläutert interessanterweise, dass das Wesentliche für das Erreichen des Himmelreiches der Durst nach Gerechtigkeit darstellt. Tatsächlich können auch diejenigen, die noch nie etwas von Christus gehört haben, wie z.B. die Türken, selig werden, da der Durst nach Erkenntnis in jedem Menschen angelegt ist. Auf keinen Fall jedoch sollen die Menschen sich auf die Vermittlung des Glaubens durch andere Menschen verlassen.
Des Weiteren beruft Jesus Petrus als Fels seiner Gemeinde und prophezeit seine Kreuzigung. Die Themenkreise „Gläubigkeit“ und „Legitimität von Petrus“ sind Paracelsus wichtig und werden in der Auslegung ausführlich erläutert. Zum einen um klarzustellen, dass nur der verinnerlichte Glauben ins Himmelreich führt und zum andern, dass der Papst als Petrus ‚Nachfolger’ keinerlei göttlich legitimierte weltliche Autorität besitzt. Nach Paracelsus hat Jesus es nicht nötig durch ein himmlisches Zeichen den Lauf des Firmaments zu ändern. Die Krankenheilung auf Erden sind die Zeichen seiner Gottessohnschaft und hätten die Pharisäer Jesus um Heilung gebeten, hätte er ihnen diesen Wunsch erfüllt. Jeder Mensch muss auf seinen Glauben selbst achten und ihn pflegen, keine Obrigkeit kann Glauben vermitteln. In dem Sinne ist weder Petrus noch der Papst für das Seelenheil der Menschen zuständig. Paracelsus bietet nun eine sehr konstruierte Interpretation der Bibelstelle, in der Jesus Petrus den Schlüssel zum Himmelreich gibt. Nicht Petrus ist hier laut Paracelsus gemeint, sondern Gott selbst. Ersetzt man nun Petrus durch Gott, so ergibt sich, dass Gott den Schlüssel zum Himmelreich hat, wo er alleine richtet. Auf keinen Fall sei das die Aufgabe des Apostels Petrus und schon gar nicht die Aufgabe des Papstes.
Auch in der Auslegung zum 17. Kapitel deutet Paracelsus die handelnden Personen einfach um. So werden aus Moses und Elias, die Jesus auf einem Berg erscheinen, Gottvater und der heilige Geist. Als Trinität beschließen sie Jesus’ Tod und Auferstehung. Wortwörtlich jedoch möchte Paracelsus die im Folgenden ausgeführte Absage an Steuer- und Zolleinnahmen verstanden wissen. Andere Bibelausleger, wie z.B. Erasmus, interpretieren diese Absage im Sinne der Steuereintreiber um. Paracelsus als Vertreter der Ärmsten jedoch bleibt seiner Mission treu: Die Menschen als Kinder Gottes sollen keine Abgaben an die weltlichen Herrscher leisten.
In Kapitel 18 fordert Jesus wortwörtlich, dass sich die Menschen als Kinder Gottes erniedrigen müssen, um in Gottes Gnade zu gelangen. Paracelsus erläutert dazu, dass alle tatsächlichen Kinder selig seien, auch die der Türken, Tartaren, aller Christen und Heiden. Allein die jüdischen Kinder nimmt Paracelsus aus, da diese sich nicht im Stande der Unschuld befänden! Alle anderen Kinder würden erst durch die falschen Lehren der Geistlichkeit in die Verdamnis geführt. Deswegen ist die Heidenmission abzulehnen, da sich die „nackenden leute“, ohnehin im kindlichen Zustand der Unschuld befänden. Durch Belehrungen würden sie nur auch zu Sündern werden, denn „selig ist der nackende mann, der in der insel wohnet, verdamt ist der ornat“.
In Kapitel 18 ist auch der Umgang mit einem sündigen Menschen Thema. Jesus plädiert für Vergebung und positive Einwirkung auf den Sünder. Tritt keine Besserung ein, soll er als „Heide und Zöllner“ gelten. Paracelsus geht weiter und kommt folgerichtig auf das Thema „Bestrafung“ zu sprechen. Überraschenderweise ist Paracelsus – im Widerspruch zu bereits gehörten Ausführungen – an dieser Stelle doch dafür, einen renitenten Sünder zu bestrafen. Dies obliegt allerdings keinem Richter, sondern allein der Gemeinde, die sich selbst sündig machen würde, täte sie es nicht.
Kapitel 19 leitet Jesus mit seinen Ansichten zur Ehe ein. Die Ehe ist demnach einem keuschen Leben vorzuziehen, es sei denn ein Mann ist aus verschiedenen Gründen zeugungsunfähig. Eheleute werden zu einer Person, wobei der Mann sich nur wegen Untreue der Frau scheiden lassen darf. Auch durch Paracelsus – wie er in seiner Auslegung darlegt – erfährt die Ehe höchste Wertschätzung, da der Mann hierdurch die Möglichkeit hat, seine Liebe praktisch zu leben. Für Paracelsus allerdings ist die Ehe niemals und unter keinen Umständen auflösbar.
Kapitel 19 fährt fort mit der Frage des reichen Jünglings, wie er denn ins Himmelreich gelangen könne. Dies betrifft das, schon an anderer Stelle ausführlich dargelegte Kernanliegen des Paracelsus. Nur wer in Liebe sich von Hab und Gut befreit, um Jesus zu folgen, schafft es selig zu werden. Da Reiche im Allgemeinen dazu nicht bereit sind, geht eher das berühmte Kamel durch ein Nadelöhr.
Anhand des unerfüllbaren Wunsches einer Mutter aus Kapitel 20, die für ihre beiden Söhne erbittet, dass sie im Himmelreich an Jesus’ Seiten sitzen dürfen, erläutert Paracelsus die Notwendigkeit der Selbsterniedrigung anstelle der Selbsterhöhung.
Jesus zieht in den weiteren Kapiteln in Jerusalem ein. Ute Gause analysiert keine diesbezügliche Auslegung, so dass davon auszugehen ist, dass die Verse für Paracelsus nicht von Interesse sind.
Ausführlich wird wieder im Kapitel 23 eingesetzt, das „Weherufe gegen Schriftgelehrte und Pharisäer“ heißt. Paracelsus und Jesus sind hier ganz eins: Es geht um die Selbsterhöhung der Schriftgelehrten, die die einfachen Menschen durch ihre Auslegung der Religion ins Verderben führen. Pharisäer und Geistlichen predigen Wasser und trinken Wein. Paracelsus wirft der Kirche vor, eine Hure zu sein, die sich für ihre Dienste bezahlen lässt, anstatt ihre Güter unter den Ärmsten zu verteilen.: „… es sein euer kirch, paten, kelch, segnen, beten, fasten und anders auswendig… ist alles ein cadaver und ein raub…“
Der wahre Glaube ist ferner nicht durch den Intellekt und Bildung erlangbar und steht von daher allen Menschen offen. Möglicherweise als Kritik an der Niederschlagung des Bauernaufstandes ist folgenden Satz zu verstehen: „wan die warheit ein bauer redet, der muß sterben, aber christus, der ist euch zu gewaltig“.
Hier endet die Auslegung des Matthäusevangeliums. Paracelsus nimmt Jesus wörtlich, wenn es um die Illegitimität der Priester und die Verdammung der Reichen geht. Entsprechen die Aussagen Jesu’ nicht ganz dem paracelsischen Verständnis, verbiegt Paracelsus auch schon mal die biblischen Aussagen bis sie seine Zielrichtung erfüllen, wie hinsichtlich des Apostels Petrus, den er nicht erhöht sehen will. Die Hauptbotschaft des Paracelsus besteht in der Forderung nach der Verinnerlichung des Glaubens, wobei eine Vermittlung durch Priester nur schadet.
Es irritiert, mit welcher gnadenloser Vehemenz Paracelsus Reiche und Geistliche verdammt, aber gleichzeitig Liebe und Sanftmut predigt. Nach Lektüre des Matthäusevangeliums muss man aber Paracelsus zugestehen, dass er sich dahingehend in Tonfall und Stoßrichtung durchaus an Jesus orientiert. Auch die Forderung nach Demut und Selbsterniedrigung von anderen, bei gleichzeitiger Überzeugung im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein, findet man sowohl bei Jesus als auch bei Paracelsus.
Schluss
Nach seinem Aufenthalt in Salzburg lässt sich Paracelsus wieder nur für ein Jahr in Straßburg nieder. Auch in den folgenden 15 Jahren hält er sich nur kurz an verschiedenen Orten Süddeutschlands auf. Geschwächt kehrt er 1541 nach Salzburg, wo er die Anfänge seiner Theologie schriftlich entwickelt hatte, zurück. Paracelsus fühlte seinen Tod nahen und versammelte diverse Bürger in seiner Herberge an seinem Bett, um sein Testament zu diktieren. Er verfügte dann doch nach einem katholischen Ritus bestattet zu werden: Am ersten, siebten und dreißigsten Tag nach seinem Begräbnis läuteten die Glocken der Pfarrkirche in Salzburg für eine Totenmesse, wonach jedem armen Menschen vor der Kirche ein Pfennig in die Hand gegeben wurde. Am Ende seines Lebens schien Paracelsus den katholischen Riten gegenüber doch gnädiger gestimmt gewesen zu sein.
Die 15 Jahre zuvor jedoch war ein wesentlicher Aspekt seiner Theologie die Ablehnung jeglichen kirchlichen Rituals und der Geistlichkeit, zugunsten einer individuellen und leisen Verinnerlichung des christlichen Glaubens. Er übertrumpft damit Luther, der sich zwar auch für die individuelle Besinnung auf Gott aussprach, aber die Institution Kirche nur reformieren und nicht abschaffen wollte.
In seiner rigorosen Ablehnung auch jeglicher weltlicher Autorität gerät Paracelsus in die geistige Nähe der Täuferbewegungen, die sich auch nur Gott allein verpflichtet sahen. Aber auch die Täufer tituliert Paracelsus in einer in Straßburg verfassten Schrift negativ als „Sekten“. Ähnliches gilt für die Bauernbewegungen, die angestachelt von dem Theologen Müntzer, den bewaffneten Aufstand übten. Obgleich sein Herz den Ärmsten der Armen gehörte, stand für Paracelsus eine blutige Auseinandersetzung mit Obrigkeiten, weltlich oder geistlich, außer Frage.
Paracelsus war in jeglicher Hinsicht ein Individualist, der sich in keine Gruppierung einfügen wollte.
Paradoxerweise war es ein Erzbischof, eigentlich ein personifiziertes Feindbild von Paracelsus, der 1569 eine Gesamtausgabe seiner naturphilosophischen und medizinischen Schriften veranlasste. Von den theologischen Schriften wurde, angesichts der haarsträubenden Hetze gegen die Kirche verständlicherweise, abgesehen. Diese wurden in Abschriften von seitens diverser sektiererischer Gruppen, wie den „Schwärmern“ überliefert. Von dort aus inspirierten sie Philosophen, wie Böhme und christliche Gruppierungen, wie die Pietisten.
Aber auch seine medizinischen Werke sind nicht frei von theologischen Erörterungen. In der Vorrede seiner vor 1527 entstandenen Schrift zur medizinischen Alchemie („Archidoxen“) klagt er nicht etwa zeitgenössische Ärzte, sondern Theologen an. Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts standen schließlich dann alle Werke des Paracelsus auf dem Index der katholischen Kirche.
Zu seinen Feindbildern gehörten, so muss man leider feststellen, aus theologischen Gründen auch die Juden. Bei der Lektüre der paracelsischen Theologie stößt der Kontrast zwischen der Propagierung von Liebe einerseits und der gnadenlosen Verteuflung von Personengruppen andererseits, unangenehm auf. Er übertrifft dabei zuweilen in Vehemenz und Wortwahl dem üblichen zeitgenössischen „Grobianismus“. Man muss ihm dabei sicherlich zugestehen, dass er angesichts des Elends unter den Armen, von seiner Wut gepackt wurde. Er folgt dabei seinem „Herrn“ Jesus Christus, der, wie im Evangelium überliefert, ebenfalls kompromisslos den Reichen den Zugang zum Himmelreich verwehrte. Für alle Menschen – auch bei Paracelsus – gibt es aber jederzeit die Möglichkeit, alles zu verschenken, um Jesus zu folgen.
Paracelsus scheut sich nicht, Textstellen des Evangeliums auch mal umzudeuten. So wie beispielsweise die Berufung des Apostel Petrus als Fels, auf dem die christliche Kirche steht. Angesichts der Ablehnung der päpstlichen Autorität ist eine solche Erhöhung des Petrus für Paracelsus natürlich völlig undiskutabel. Der christliche Glauben baut allein auf Gott.
Nur ein wahrhaftig liebendes Herz ist Garant für die Seligkeit. Wir finden ein ähnliches kulturelles Konzept noch heute, nach dem von Herzen gemeinte Worte und Taten wertvoller erachtet werden, als nur oberflächlich praktiziertes Tun.
Paracelsus fordert jeden Einzelnen dazu auf, das eigene Herz rein zu halten und sich nicht um Äußerlichkeiten zu scheren.
Literatur
Primärliteratur
Theophrastus von Hohenheim: Sämtliche Werke, 2. Abteilung, Bd. 2, 3 mit
„De septem punctis idolatriae christianae” , Band 2
„De imaginibus idolatriae“, Band 2
„Liber de iustitia“, Band 3
Sekundärliteratur
Gause, Ute: “Paracelsus. Genese und Entfaltung seiner frühen Theologie”, Mohr, Tübingen, 1993
Webster, Charles: „Paracelsus. Medicine, Magic and Mission at the End of Time.“ , Yale University Press, New Haven/ London, 2008
Benzenhöfer, Udo: „Paracelsus“, Rowohlt, Hamburg, 1997
Gantenbein, Urs: „Paracelsus als Theologe“ in ˋParacelsus im Kontext der Wissenschaften seiner Zeitˋ, Theophrastus Paracelsus Studien, Bd.2 (Hsgb. Classen, Albrecht), Berlin/ New York, 2010
Frietsch, Ute: „Zwischen Transmutation und Transsubstantiation.“ In NAP Bd.19, Einsiedeln, 2005
Mösender, Karl: „Paracelsus und die Bilder“, Tübingen, 2009