Paracelsus und Maria
Maria war für Paracelsus der weibliche Teil Gottes und damit vor der Erschaffung der Welt existent. Sie ist also auf keinen Fall ein Mensch, sondern in erster Linie die „Frau Gottes“ mit eigener Macht. Zuweilen verwendet er sogar den Begriff „Göttin“.
Welchen Traditionen folgt diese Erhöhung der Person Marias und wie stellt sie sich im Einzelnen dar?
- Wurzeln der paracelsischen Marienfrömmigkeit
Im Spätmittelalter erfreute sich Maria als Mutter Gottes einer enormen Beliebtheit. Ihre Verehrung lässt sich unschwer in der zeitgenössischen Kunst und in diversen Schriften erkennen. Sie war Helferin in der Not – besonders bei Pestilenzen – und vermittelte zwischen Mensch und Gott. Dargestellt wurde sie gerne auf einer Mondsichel stehend mit einem dunkelblauen, sternengespickten Umhang, der den Menschen Schutz gewährt.
Gegen ausufernde Marienanrufungen wandte sich Luther, der in der als „Himmelskönigin“ Gepriesenen nur eine demütige Magd – wenn auch mit vorbildlich frommen Lebenswandel – sehen wollte. In den 20er Jahren des 16.Jhdts. erschienen eine Fülle von Flugschriften mit Argumenten für und gegen die Marienverehrung.
Anfang 30-jährig schaltete sich Paracelsus 1524/1525 mit einer Reihe von Texten in die Diskussion ein. Die Phase, in der er sich mit Maria beschäftigte, fiel in seine Zeit in Salzburg, wo er auch antiklerikale Kritiken, Auslegungen zum Matthäusevangelium, Kräuterbücher und medizinische Schriften zu bestimmten Krankheiten verfasste.
Bei aller Kritik, die Paracelsus an anderer Stelle an der Katholischen Kirche mit ihrem Pomp und Reichtum äußerte, haben seine Ausführungen zu Maria eine Nähe zu franziskanischen Strömungen im katholischen Glauben und sind als Verteidigung und Erhöhung Marias zu verstehen. So gab es auch innerhalb der katholischen Kirche Streitigkeiten zum Thema der „unbefleckten Empfängnis“. Diese Begrifflichkeit meint, dass bereits Maria sündenfrei durch ihre Mutter Anna geboren wurde – eine Ansicht, die die Franziskaner in Kontroverse zu den Dominikanern vertraten. Seit einem Konzil 1438 war es erlaubt an die „unbefleckte Empfängnis“ zu glauben und erst 1848 wurde diese zu einem katholischen Dogma erhoben.
Franziskanisch ist auch die Identifizierung Marias als die göttliche Weisheit, eine Vorstellung, die sich auch in den paracelsischen Schriften wiederfindet und die wiederum in dem „Corpus Hermeticum“, einer antiken naturphilosophischen Schriftensammlung zu fußen scheint. Bereits darin gibt es Hinweise auf einen weiblichen Teil der Gottheit, der als „Weisheit“ vom göttlichen Willen geschwängert den Sohn Christus gebiert.
Auch in der späteren mittelalterlichen Dichtung, inklusive der Mystik, war der Topos der Existenz Marias vor der Erschaffung der Welt beliebt. Bilder und Metaphern für Maria als Acker oder Erde, die Christus hervorbringt oder die jungfräuliche Mutterschaft als Glas, das durch die Sonne erleuchtet, aber nicht verletzt wird, sind von Paracelsus übernommen worden. Ebenso das Fließen des Heiligen Geistes aus Christus oder Maria als Spiegel der Trinität (Vater, Sohn und Heiliger Geist) reproduziert Paracelsus und schmückt es auf seine Weise aus.
- Maria in paracelsischen Schriften
Für Paracelsus ist Maria kein Mensch und in ihre Mutter Anna, die im Folgenden als „Fass“ bezeichnet wird, nur „eingegossen“ worden – und zwar ausdrücklich ohne einen männlichen Samen. Maria hat sich also ohne jegliches menschliches Zutun inkarniert, was in der Schrift „Von der Geburt Mariae und Christi“ so formuliert wird:
„Maria ist in das faß Annae eingossen ohn allen männlichen samen und also in die welt komben ohn allen männlichen samen und ohn allen makel des faß ohn alle eigenschaft des faß“
Der Hintergrund dieses Bedürfnisses Maria die biologischen Voraussetzungen ihrer irdischen Existenz abzusprechen, folgt der Logik, dass Jesus Christus, als Inkarnation Gottes unmöglich von einer Menschenfrau geboren sein konnte. Auch eine halbmenschliche Mutter von Jesus macht keinen Sinn, es „reimt sich nicht“:
„denn were si von menschensamen hie, so hette Christus den samen von ir müessen annemen, daraus geborn zu werden. Alsdan wer er auf der einen seiten vom vatter ein gott gewesen, auf der andern seiten ein halber mensch, von einem halben samen. Das reimet sich ungeschicklich.“ („Libellus de Virgine Sancta Theotoca“)
Das Christentum basiert auf der Annahme eines dreifaltigen Gottes, der letztendlich doch eine Einheit bildet: Vater, Sohn, Heiliger Geist. Die Beziehungen dieser Dreiheit untereinander waren oder sind Gegenstand jahrhundertelanger Diskussionen. In einem Punkt herrscht jedoch Gewissheit: Maria ist kein Teil dieser Trinität, sondern steht außen vor. Auch Paracelsus hält sich strikt an diese Vorgabe, positioniert Maria jedoch als Teil des Schöpfergottes und weist ihr eine unverzichtbare Rolle in der Entfaltung der Dreifaltigkeit zu, indem Gott quasi mit sich selbst Jesus zeugt:
“Also hat Gott nun von ihm selbst, von seiner person, ein weib gemacht … der sun ist geporen von zweier personen, nemblich von gott und der göttin, der heilige geist von gott dem vater und gott dem sun.“ („Liber de Sancta Trinitate“)
Das Wunder von Marias Geburt auf Erden beurteilt Paracelsus höher als das Wunder der Geburt Jesu. Während die Zeugung von Jesus durch zwei göttliche Wesen sich für Paracelsus zu „reimen“ scheint, haben wir bei der Inkarnation Marias das übernatürliche Phänomen, dass sich zum ersten Mal Geist sichtbar materialisiert.
„und das miracul wider die natur ist auf die geburt Mariae geredt, denn dasselbige miracul ist größer denn das miracul Christi, die geburt Christi, in dem der gott mensch ist worden.“
Jesus ist also gänzlich göttlichen Ursprungs. Ebenso wie Maria besteht er aus einem „himmlischen Leib“, der bar jeden irdischen Makels durch den irdischen Körper nur bedeckt wird. Weder Mutter noch Sohn sind demnach Krankheiten oder dem Einfluss von Sternen ausgeliefert.
Der himmlische Leib ist von allerreinster Substanz. Durch ihn definiert Paracelsus Maria als „Jungfrau“. Marias Jungfräulichkeit hat also nichts mit ihrem moralischen Lebenswandel oder gar mit ihrer ungelebten Sexualität zu tun. Maria eignet sich von daher nicht als moralisches Vorbild, da Menschen als biologische Wesen sowieso niemals die Qualität Marias geistiger Reinheit annehmen können. Biologische Jungfräulichkeit ist kein Verdienst und die Titulierung der Nonnen als „Gemahlinnen“ Gottes eine Anmaßung.
Während die Lehre vom himmlischen Leib Jesu schon bei einigen Vertretern der alten Kirche formuliert worden war, ist die Übertragung auf Maria eine Eigenart der paracelsischen Laientheologie. Diese Theorie findet sich ansonsten nur bei einem Täufer aus Strassburg, der sie unabhängig von Paracelsus 1524/1525 – also exakt zeitgleich – niederschrieb. Diese Spekulationen entstanden im Zuge der Reformationszeit, in der man sich traute offizielle Glaubensinhalte in Frage zu stellen und auch in der Lage war eigene Gedanken durch die Erfindung des Buchdrucks zu verbreiten.
Das göttliche Wesen Marias machte es für Paracelsus nicht nur legitim, sondern sogar absolut notwendig sie zu ehren. Anders als Luther, der Maria nur als eine „Werkstatt Gottes“ verstand, die nicht angebetet werden darf, begriff Paracelsus Maria als Teil der göttlichen Autorität.
Paracelsus’ Maria hat beim Jüngsten Gericht die Macht mit zu entscheiden, indem sie den sündigen Menschen gegenüber einem strengen Gott, den niemand anzurufen wagt, verteidigt. Sie trägt idealisierte weibliche Züge, wie Mitleid, Anteilnahme und Fürsorglichkeit, durch die sie Beistand in allen Nöten bietet und den richtenden Gott besänftigt. Sie ist im Gebet ansprechbar für den Sünder und erfüllt damit eine Mittlerfunktion zwischen Gott und den Menschen. Marias Süße zeigt sich auch ganz praktisch in Äpfeln und Heilpflanzen, die es ohne sie nicht gäbe! Maria und Gott ergänzen sich, wobei Gott den zornigen, strengen Part und Maria die barmherzige, milde Seite der Gottheit repräsentiert.
„Mann und weib sollen ein temperirung machen: got, der ist am strengsten, die göttin Maria am miltesten, das macht die wege (Waage). Ohn diese vergleichung mag keiner zu der seligkeit komben (…) allein was die königin erlangt hat aus irer barmherzigkeit zu leuchterung (Erleichterung) dem menschen, das hat der mensch. darumb er sie sol ein künigin der barmherzigkeit heißen, dann alle barmherzigkeit so der mensch von got hat kombt aus ir.“ ( „De Salve regina et magnificat“)
Maria hat allerdings trotz ihres positiven Charakters gegenüber dem männlichen Gott keine gleichberechtigte Stellung. Die Ehe zwischen Gott und Maria entspricht in dieser Hinsicht ganz der Beziehung zwischen menschlichen Ehepartnern. Eine Frau hat lediglich die Funktion den Mann zu ergänzen und vollkommen zu machen. Demut gegenüber dem Ehemann ist demzufolge seitens der Frau notwendig. Genauso ist Maria, als eine aus ihm heraus geschaffene Kreatur dem Schöpfergott untergeordnet.
Als göttliches, aber dem Menschen nahe stehendes Wesen kennt Maria die gesamte „Wahrheit“ über uns, womit sie uns praktische Lebenshilfe geben kann. In ihrer Weisheit „ein ieglicher fendt, was er tun sol, was seine werk auf erden seind, warzu er gut ist.“
Schluss
Paracelus’ Marienbild fußt auf mittelalterlichen Vorstellungen, die bis in die Antike zurückreichen. Demnach ist sie eine Emanation Gottes, die noch vor der Schöpfung der Welt stattfand. Eine paracelsische Besonderheit ist das Konzept des „himmlischen Leibs“ Marias, den sie an Jesus weitergibt und der die Funktion hat, unstofflichem „Geist“ einen menschlichen Körper zu geben.
Maria besetzt im Christentum neben dem patriarchal zornig gedachten Schöpfergott, die Rolle einer mildtätigen Muttergottheit und erfüllt so das Bedürfnis der gläubigen Menschen nach Geborgenheit. Paracelsus befürwortet ihre Anbetung, folgt aber einer Rollenzuweisung, die Maria gegenüber Gott eine untergeordnete Rolle zuweist. Paradoxerweise werden so negative Züge wie Zorn und Unnahbarkeit, positiven Eigenschaften wie Barmherzigkeit und Milde übergeordnet.
Sekundärliteratur
Biegger, Katharina: „Paracelsus über Maria – Weiblichkeit und Heiligkeit“ in Nova Acta Paracelsica, Neue Folge 14, Zürich 2000
Gause, Ute: „Paracelsus. Genese und Entfaltung seiner frühen Theologie. Dissertation“, Hsgb.: Oberman, Heiko in „Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe, Band 4“, Tübingen 1993
Miller-Guinsberg, Arlene: „Von Paracelsus zu Böhme“ als Vortrag zum Paracelsustag 1978 in Salzburger Beiträgen zur Paracelsusforschung, Folge 21, Wien 1980
Rudolph, Hartmut: „Kosmosspekulation und Trinitätslehre“ als Vortrag zum Paracelsustag 1978 in Salzburger Beiträgen zur Paracelsusforschung, Folge 21, Wien 1980
Sekundärliteratur zitiert aus
Theophrastus von Hohenheim (später genannt „Paracelsus“)
„Liber de Sancta Trinitate“ publiziert in : „Paracelsus, Sämtl. Werke, 2. Abt., Bd.III“,
Goldammer, Kurt; Wiesbaden 1973
„Libellus de Virgine Sancta Theotoca“ , nicht publiziert
„De Salve regina et magnificat“, nicht publiziert
„Von der Geburt Mariae und Christi“, nicht publiziert