Vom Irrgang der Ärzte (1539)
In der 59-seitigen Schrift legt Paracelsus drei Jahre vor seinem Tod nochmal sein medizinisches Weltbild dar. Das „Labyrinth“ oder „Irrgang“ – heute würden wir „Irrgarten“ sagen – ist ein Symbol für die aussichtslose Suche der zeitgenössischen Ärztekollegen nach Ursachen für Krankheiten und deren Heilung. Demgegenüber führt Paracelsus seine Sicht der Dinge aus, die sich auf einen christlichen Gott gründet, der als Schöpfer der Welt auch das sogenannte „Licht der Natur“ geschaffen hat, durch das wir Menschen Wissen um die Vorgänge der Natur offenbart bekommen können. Absolut nutzlos findet Paracelsus die Grundlagenwerke der traditionellen universitären Medizin. Autoren wie Galen oder Avicenna bezeichnet er gerne und oft als „Lügner“.
Paracelsus strukturiert seine Schrift in elf Kapitel oder „Bücher“, wie er sie nennt. Unter den Überschriften: Weisheit, Firmament, Elemente, Anatomie, Alchemie, Erfahrung, Apotheke, Medizintheorie, Offenbarung, Arznei und Philosophie.
Vorwörter
Auf den ersten acht Seiten stimmt Paracelsus die Leser auf die Thematik ein.
Zunächst richtet er sich, überschrieben mit einem ‚Gruß an die hippocratischen Doktoren‘, an seine Kollegen. Er lässt sich darüber aus, dass die Bücher der ‚Alten‘ – gemeint ist der medizinische Kanon – nur zur Verführung dienen, weshalb er diese verlassen hat, um eigene Wege zu gehen. Die Arznei lässt sich ohne Meister lernen! Seine „Hauptbücher“ sind das „natürliche Licht“, das von Gott empfangen werden muss. So wie die Apostel nicht aus sich selbst heraus Christus gepredigt haben, sondern „aus dem, der durch sie mit feurigen Zungen redete“ – gemeint ist der Heilige Geist – ist es bei den Ärzten das „Licht der Natur“, durch das sie unterwiesen werden.
In der Vorrede erläutert er das Bild des Labyrinths, in dem sich Ärzte im allgemeinen verirren. Diese unterteilt er nochmals in diejenigen, die komplett verloren „verirret wie die Blinden“ in einem „verworrenen Strang von einem Haspel“ gar nichts finden. Für andere ist das Labyrinth immerhin ein „Schneckenhäuslein“, in dessen Zentrum der einäugige Minotaurus eine “scientia“ zu bieten hat. Aber auch dieser ist nicht vertrauenswürdig. Der Irrgang ist generell schädlich.
An dieser Stelle lässt sich Paracelsus äußerst unangenehm über Juden aus. Sie lügen und schämen sich nicht. Sie rühmen sich der ältesten Arznei, dabei sind sie die ältesten Schelme. Sie betrügen und sind Gott widerwärtig, der ihnen die Gnade entzogen hat und schändliche Leute aus ihnen gemacht hat. Hier liegt also eine abstoßende Form des religiösen Antisemitismus vor. Warum schreibt Paracelsus das? Tatsächlich finden sich im paracelsischen Gesamtwerk immer mal wieder antisemitische Stellen, allerdings normalerweise in den religiösen Schriften, nicht in den medizinischen. Ein Grund könnte sein, dass Paracelsus später im 9. Kapitel von den magischen Künsten schreiben wird, die Zugang zu der göttlichen Offenbarung eröffnen. Diese Künste nennt er „gaballia“, eine begriffliche Anlehnung an die jüdische Geheimlehre „Kabbala“. Vielleicht möchte Paracelsus Missverständnissen vorbeugen. Und in der Tat haben seine magischen Künste, sofern ich das beurteilen kann, nichts mit der entsprechenden jüdischen Lehre zu tun. Im selben Kapitel 9 erläutert Paracelsus, dass die magischen Künste aus dem Orient kommen, während aus dem Norden dahingehend nichts Gutes zu erwarten ist. Aber: Auf keinen Fall hat das orientalische Wissen etwas mit den Juden zu tun! So darf man es wohl folgerichtig verstehen. Nach der Vorrede werden die Juden auch nicht weiter erwähnt.
Nach den Juden bekommen die alten Griechen ihr Fett weg. Die Heiden sind zwar die ältesten Ärzte, aber ihre Lügen haben überhand genommen. Die Araber haben diese in Folge reproduziert und die anderen Nationen auch. „ie mer wiz ie mer irgangen“ schreibt er – also in etwa: Je scharfsinniger, desto abwegiger! Die medizinischen Klassiker werden von Paracelsus hier und in anderen medizinischen Schriften durchgehend verunglimpft und beschimpft.
Am Ende der Vorrede kehrt Paracelsus zurück zu dem Bild des einäugigen Minotaurus. Die Einäugigkeit ist möglicherweise Bild des alttestamentarischen einen Gottes, denn Paracelsus propagiert dafür, sich auf den Weg zu dem dreiäugigen Minotaurus zu machen, „beschlossen in einer Gottheit“ – also in die christliche Trinität als Vater, Sohn und Hlg Geist. „und welcher im selbigen wandelt, der ist selig. der selig ist, ist on irsal (…) und kein falsch in seinem herzen.“
Im dritten und letzten Vorwort grüßt Paracelsus alle Leser. Vorliegende Schrift ist eine Rechtfertigung, schreibt er. Es gab „Geschrei“ darüber, dass „er nicht zur rechten Tür in die Arznei ginge“. Deshalb möchte er nochmal seinen persönlichen, richtigen Eingang in die Materie erläutern. Nur das „Licht der Natur“ ist wahrhaftig, weil von Gott geschrieben. Von Gott kommt auch die Arznei. „erspeculir keine (Arznei) von dir selbst“.
Es wurden auch Perlen im Labyrinth gefunden, aber diese sind unter die Säue gekommen.
Die richtigen Bücher, die gelesen werden sollten, sind folgende …
1. und höchste Buch: die Weisheit aus dem einigen Geist
Der Grund der Erkenntnis über alle Dinge liegt in Gott selbst, der alles erschaffen hat. „Sapientia“ ist die Weisheit, Dinge zu wissen und nicht zu „wähnen“. Wir erlangen sie nur durch Gott; wir haben sie nicht aus uns selbst heraus.
Arzneien sind natürlich, müssen uns aber gezeigt werden und auch wie und für wen sie gebraucht werden können. Die Arzneien (Wirkstoffe) in den Körpern fließen aus dem Geist, der im Menschen ist und letztendlich von Gott kommt.
Daraus folgt, dass wir zuallererst das Reich Gottes suchen müssen – da liegt der Schatz verborgen! Die Weisheit aus Gott ist wie die Wärme aus der Sonne, die Blüten hervortreibt.
Wir erlangen Weisheit nicht mit Gewalt, sondern durch Suchen und Anklopfen. Wir bitten ja auch um unser täglich Brot – dabei ist die „bauchfüll“ nur sterblich; wie wertvoller hingegen ist die Weisheit, die ewig ist.
Auf diese Weise muss ein Schüler die Natur erfahren; so kommen Geheimnisse in uns. Gott gibt ja auch den Vögeln ihre „notturft“ (alles was sie brauchen) – und uns Menschen erst recht! Denn: „alle ding kommen von oben herab“.
Paracelsus schreibt dies, damit der interessierte Leser „zur richtigen Tür ins Haus steigt und nicht durchs Fenster oder überzwerch“, wie die „humoristen“ (Die Vertreter der traditionellen medizinischen Säftelehre.) Diese suchen den Schatz, den der Rost frisst, also wird ihnen auch Rost gegeben. Denn was man sucht, das wird einem gegeben!
Wo dein Schatz ist, ist dein Herz.
Diejenigen, die nicht das Reich Gottes suchen, sondern das irdische, kommen nicht auf die Kunst der Wahrheit.
2. Buch: das Firmament
Spätestens bei diesem Kapitel wird dem Leser klar, dass das „Labyrinthus medicorum“ kaum Werkzeuge gibt, um eine konkrete medizinische Praxis durchzuführen. Es handelt sich vielmehr um eine Verteidigungsschrift, die ein Weltbild darlegt, in dem der Mensch die gesamte Schöpfung in sich vereinigt. Und zwar anders als es in der traditionellen Medizin vermutet wurde.
Zum Thema „Firmament“ lässt sich Paracelsus zunächst ausführlich darüber aus, dass er nicht auf die „Bücher aus Papier“ verweist, da diese von guten und bösen Leuten geschrieben wurden und damit ein großes Durcheinander verursacht haben. Die „zwikdörnigen“ Bösen und Schwärmer fälschen „das gut durch das bös“ und „machen durch einander ein pludermuß“. Sie verursachen Wellen, sodass das Meer nicht still wird. Jeder möchte etwas Neues schreiben und sich über die anderen erheben. Auf diese Weise ist die Arznei „zerbrochen“.
Die Bücher bieten nur „tote“ Buchstaben. Im Firmament hingegen liegt der Ursprung – nicht im Alphabet. Genau wie ein Baum nicht durch das Wort „Baum“ zu verstehen ist, sondern „sich selbst describirt“.
Die Sterne sind wie Buchstaben und miteinander gekoppelt ergeben sie Wörter, Sätze und einen Sinn. Wir können sie lesen, wie einen Brief, der über 100 Meilen geschickt wurde.
Das Firmament betrügt nicht, da es von Gott geschrieben wurde! Das muss ein Arzt lesen können, um die Kunst der Arzneien zu beherrschen. Bücher aus Papier hingegen, die das Firmament beschreiben, sind nur wie ein Schatten an der Wand oder ein Spiegelbild. Will man wirklich unterrichtet werden, so muss man sich dem Wirklichen zuwenden. „aus dem lebendigen da gehet der grund“.
Speise ist ja auch erst Speise, wenn sie zu Fleisch und Blut wird.
Ärzte verschwenden nur ihre Zeit mit toten Buchstaben. Ein Buch muss praktiziert werden. Wie das Evangelium aus Christus, wird die Natur aus dem „Buch der Natur“ erfahren.
Ein Zimmermann hat Axt und Holz, ein Maurer Stein und Zement, der Arzt hat das (metaphorische) „Buch“, das ihm sagt, was Menschen krank und gesund macht.
Das Firmament ist ein Teil des menschlichen Körpers.
Der Adler fliegt zum Aas, jeder fliegt dahin, wo er gespeist wird – also sieht ein guter Arzt zum Firmament auf.
„darum tut die augen auf“
3. Buch: die Elemente
Ein Arzt muss die Gesundheit und Krankheit der Elemente kennen, denn Mensch und Elemente stehen sich näher als Mann und Weib. Während zwischen Mensch und Elemente eine „concordanz“ (Harmonie) besteht, herrscht zwischen Mann und Frau eine „discordanz“.
Sowohl in Menschen, als auch in Elementen gibt es „sanitas“ (Gesundheit) und „infirmitas“(Gebrechlichkeit). Aus der Erde wachsen Blumen und allerlei Gewächse, aus dem Wasser die Mineralien, aus dem „chaos“ (Luft) kommen die „pruina“ (?), aus dem Feuer die „meteorischen impressionen“ (Wetterereignisse). Das alles findet sich auch im Menschen, deshalb sollte der Philosoph die Elemente ergründen. Und für den Arzt gilt: Nicht nur die Astronomie auch die Philosophie – das „Buch der Elemente“ – gibt Auskunft über den „inwendigen“ Menschen.
Der Mensch hat einen „corpus physicum“, die Elemente einen „corpus limi“ (Körper aus Schlamm). Da der Mensch aus den Elementen entspringt, behält er ihre körperliche Essenz, wie ein Sohn in Blut und Fleisch eine Essenz seines Vaters verkörpert.
Die Elemente sind Mütter, aus denen Gutes und Böses wächst: Rosen und Dornen, Gold und Talk, Tau und Hagel, Manna und Nebel. All dieses kann auch im Menschen ausbrechen. Auch in ihm ist die Kraft der Disteln und der Lilien, des Quecksilbers und Auripigments. Solche „procreationes“ muss ein Arzt kennen und zwar zuerst die der Elemente, dann deren Entsprechungen im Menschen.
Der Körper der Elemente erklärt Buchstaben. Diese wiederum ergeben Wörter und Sätze, welche uns sagen, was die „terra sphaeri“ im Menschen sind. So wie Gott unsere Haare auf dem Kopf gezählt hat, sollte der Arzt die möglichen Krankheiten gezählt haben.
An der Stelle erwähnt Paracelsus seine „drei-Prinzipien- Theorie“, die er in früheren Werken bereits detailliert ausgeführt hatte: Jedes Element besteht aus „drei Stück“: aus „Sal“ – auch „balsamum“ genannt, aus „resinam“ – auch Sulphur genannt und „liquorem“ auch als „cataronium“ bezeichnet. Diese drei „Stück“ sind später bekannt geworden als (metaphorische) Salz-, Schwefel- und Quecksilberprinzipien, die – nach Paracelsus – materiellen Erscheinungen zu Grunde liegen. Wie fälschlicherweise oft behauptet wurde, entsprechen sie nicht der Triade „Körper, Seele, Geist“, sondern beziehen sich auf den Körper, auch wenn es sich dem Wesen nach um geistige Prinzipien handelt. Im „Labyrinthus medicorum“ erklärt Paracelsus: „aus den drei wachsen alle ding“; „sie conficiren ein ietlichen leib“. Metalle, Mineralien, Steine, Hölzer, Kräuter und überhaupt alle Gewächse, belebt oder unbelebt, Fleisch und Blut– alles besteht aus den drei Prinzipien!
Jedes Element hat seine Geschöpfe, die aus ihm wachsen; wobei aus einem Element auch Dinge sehr gegensätzlicher Natur erwachsen können. Beispielsweise wächst aus der Erde sowohl der brennende Hahnenfuß (flammula), als auch die Alraune (mandragora).
Auch die Krankheiten erwachsen aus den Elementen und nicht aus den vier Qualitäten „kalt/warm/ nass/ trocken“, wie es die traditionelle Medizin behauptet. Vielmehr ergeben sich die Qualitäten aus dem Körper, so wie aus einem Stück Holz ein Bild geschnitzt werden kann. Die Körper „geben“ die Qualitäten und „sind“ sie nicht. Von daher soll ein Arzt nicht die Komplexionen (Kombination der Qualitäten) beachten, sondern die Elemente.
Ebensowenig haben die vier „Säfte“ (Blut, schwarze Galle, gelbe Galle, Schleim) und die mit ihnen verbundenen Temperamente etwas mit Krankheiten zu tun. Beispielsweise rührt die Melancholie nicht aus einem Zuviel des Elements Erde im Menschen, sondern ist eine unsinnige „phantastica krankheit“. Das gleiche gilt für den Choleriker, Sanguiniker und Phlegmatiker.
Es sind vielmehr die Geschöpfe der Elemente, die Auskunft über Krankheiten des Menschen geben. So viel „brennende“ Pflanzen es gibt, so viele „brennende“ Krankheiten gibt es auch. Kennt man die Früchte der Elemente, kennt man auch die Krankheiten.
In den vier Elementen findet der Arzt den Menschen beschrieben. Die Natur macht den Text, nicht die Bücher der Menschen.
Was das Holz „fäulet“, fault auch den Menschen. Was in den Menschen Würmer macht, macht auch Würmer im Obst.
4. Buch: die Anatomie
Wie die bisherigen Ausführungen schon nahelegen, versteht Paracelsus unter Anatomie nicht die Lehre über die lokale Anordnung der Körperteile. Auch in diesem Kapitel geht es um die „große Welt“ – alle Naturerscheinungen, die sich in der „kleinen Welt“ – dem Menschen, wiederfinden.
Paracelsus wiederholt die Essenz des vorherigen Kapitels in Abgrenzung zur zeitgenössischen Lehre.
Hölzer, Steine und Kräuter finden sich auch im Menschen, aber in anderer Gestalt als in der Natur – nämlich als „Gesundheit“ oder „Krankheit“. Das Gold der Elemente bspw. ist im Menschen ein „Confortativ“, ein stärkendes Mittel. Dies gilt auch für die „anderen Spezibus“ der Elemente, wie bspw. den Saphir oder das Quecksilber.
Wer das weiß, ist ein Arzt! Die ärztliche Praxis darf nicht aus spekulativer Theorie hergeleitet werden, sondern die Theorie muss aus der Praxis kommen. Knochen haben andere Krankheiten als Blut, wie es auch verschiedene Würmer in Hölzern und Kräutern gibt. Die „species corporales“ und Krankheitstypen unterscheiden sich nur in der Substanz, haben aber die gleichen Eigenschaften. Würmer des Knochenmarks sind andere als die Würmer der Eingeweide, schreibt Paracelsus. In der mittelalterlichen Medizin galten diverse „Würmer“ als Ursache für die verschiedensten Krankheiten. Paracelsus zeigt sich offenbar dahingehend noch sehr einer traditionellen Vorstellungsweise verhaftet.
Anderen Vorstellungen widerspricht er allerdings vehement. Es gibt nicht nur eine Sorte Blut (warm und feucht), wie behauptet wird, sondern so viele Bluttypen, wie es Hölzer gibt. Geht man davon aus, dass die Adern im Körper wie die Äste eines Baumes sind, bleiben die vielen unterschiedlichen Baumsorten zu beachten. Dementsprechend gibt es nämlich Zypressenvenen, Rosmarinvenen ect., die nicht immer ein gleiches Wesen haben.
Es genügt also nicht allein den menschlichen Körper zu sehen oder ihn gar aufzuschneiden. Paracelsus führt hier einen Seitenhieb gegen zeitgenössische Anatomen aus, die durch Leichensezierungen Kenntnisse über den menschlichen Körper erlangt hatten. Das sei, wie wenn ein Bauer (als Analphabet) einen Psalm sieht. Der Bauer sieht nur Buchstaben, versteht aber den Sinn des Textes nicht.
An der Stelle gibt Paracelsus ein Beispiel, das nochmal das Verhältnis Körper/ Element an Hand des „Körpersafts“ Blut darstellen soll. „so viel species aquarum so vil auch species in sanguine“ schreibt er. Blut ist zwar vom Element „Wasser“ – wobei Paracelsus wohl auf den Aggregatzustand „flüssig“ anspielt – aber es ist warm, obgleich Wasser nicht immer warm ist. Das Blut empfängt seine Wärme vom „sale physico“, so wie die Erde von der Sonne erwärmt wird. Auf diese Weise wärmt das „elementische Feuer im Menschen“ die anderen „inwendigen“ Elemente. Damit widerspricht Paracelsus der antiken Lehre, die dem Element Wasser die Qualitäten „feucht/ kalt“ zuschreibt.
Die Welt beschreibt den Körper des Menschen. So wie es nicht nur eine Art „Wind“ gibt, gibt es auch vielerlei Koliken.
Die falschen „scribenten“ (Schreiberlinge) betreiben nur „Stubenspekulation“. Überhaupt findet sich die „große Welt“ nicht nur in den vielen „Spezibus“ im Menschen wieder, sondern auch „loca und alle die proceß und ordnung, so cosmographia sei und geographia“. Der Mensch als „kleine Welt“ ist ein Abbild der „großen“.
Wo der Philosoph aufhört, fängt der Arzt an. Der Philosoph erkennt die große Welt in Himmel und Erde, in allen „generationibus“ (der gesamten Schöpfung). Erst dann kann er als Arzt die kleine Welt verstehen. Sonst ist er wie ein Blinder, der von Farben redet. Wer nur schreibt und nicht „erkennt“ beschreibt nur die Gestalt des Menschen, nur sein Spiegelbild und nicht sein wahres Wesen. Er ist wie ein Kalb, das ein neues Tor ansieht (und nichts kapiert). „solche kelber vernunft“ haben die Pseudomediziner zu Säulen ihrer Medizin gemacht.
5. Buch: die Alchemie
„von wegen des namens ist es manchem unangenehm“, schreibt Paracelsus zu Beginn des Abschnittes zur Alchemie. Er führt nicht näher aus, welche Aspekte genau „so mancher“ an der Alchemie beanstandete, aber man kann wohl davon ausgehen, dass es sich um die betrügerische Goldmacherei handelt, die den Ruf der Alchemie beschädigte.
Paracelsus verteidigt die Alchemie, mit dem Argument: „wie kan ein weis man dem feint sein, das misbraucht wird?“ Der Missbrauch der Alchemie ist kein Grund sie völlig zu verwerfen. Denn wie kann man der Lasur böse sein, wenn der Maler nicht richtig arbeitet? Oder dem Stein, wenn der Steinmetz danebenhaut? Oder einem Hund, der beißt, wenn man ihm auf den Schwanz tritt?
Die Alchemie ist die „kunst vulcani“. Vulcanus – eine transformierende, schöpferische Kraft – ist der Künstler in der Alchemie. Gott hat alle Dinge – als „Etwas“ – aus dem Nichts erschaffen. Dieses „Etwas“ ist ein Same, in dem die Vorherbestimmung seiner Aufgabe liegt. Vulcanus muss die Bestimmung vollenden.
Holz wächst zwar von alleine, wird aber nicht von selbst zu Kohlen oder Holzscheiten. Auch Lehm entsteht von alleine, aber ein daraus entstehender Topf nicht. Eisenerz muss von Vulcanus zu Eisen und dann zu Stangen durch Feuer erschaffen werden.
Offensichtlich ist Vulcanus ein Sinnbild für die menschliche Handwerkskunst, die mit Feuer arbeitet.
Alchemie ist das, was das Feuer tut. Wie in Küchen und in Öfen, so muss Vulcanus auch in der Arzneiherstellung die Dinge von Schlacken befreien. Was unsere Augen an Kraut, Stein oder Baum sehen, ist erst mal keine Arznei. Denn diese ist „inwendig“ in den Dingen verborgen.
Vulcanus ist der Apotheker und Laborant der Arznei. Natürlich wird oft gediegenes Gold oder Silber gefunden und entsprechend auch „gediegene“ Arzneien. Aber auch diese müssen wie Silber „fulminiert“ und gebrannt werden. Ist sie dann zubereitet, kann sie dem Kranken serviert werden, wie dem Gesunden eine Speise. Es verhält sich wie mit dem Brot, das gemahlen, gebacken und geschnitten werden muss. Zur Vollendung ist dann die „alchimia microcosmi“ gefragt: Im Mund wird das Brot gekaut, im Magen verdaut, bevor es dann zu Blut und Fleisch wird.
Gott hat nichts in „ultimam materiam“ (letztendliche Form) beschaffen. Die transformierenden Künste sind im Menschen, die durch ihr Handwerk die Dinge vollenden – so darf man es wohl verstehen. Durch Feuer wird das Unreine zu Reinem gemacht.
Alchemisten sind wie Zimmerleute, die Holz bereiten; wie ein „Bildschnitzer“, der ein Bild schnitzt.
Warum erklärt Paracelsus das? „ist die ursach, das die dintenbücher kein kunst in inen haben, sonder sudlens und kudlens durcheinander und machen dan schwaderlappen, das die seu lieber dreck fressen, dan ir gekocht“.
Paracelsus äußert also vehement Kritik am „Sudelwerk“ der studierten Ärzte und der Apotheker. Bloß nicht nach deren Rezepten kochen, warnt er!
Bauer, Müller, Bäcker sind die drei Vulcani, die das Brot machen.
Der Arzt sollte sich nicht der Alchemie wegen schämen, sonst ist er kein Doktor, sondern ein „gedocterter bachant“. Er wäre so wenig ein Arzt, wie das Bild eines Menschen im Spiegel ein Mensch ist.“
6. Buch: die „Experientia“
In diesem Kapitel bezieht sich Paracelsus auf den medizinischen Gelehrtendiskus: Für Galen sind „ratio et experientia“ (Vernunft und Erfahrung) die Beine der Medizin. Die „ratio“ liegt dem Anspruch der studierten Ärzte zugrunde, den Krankheitsursachen auf den Grund zu gehen, um in der medizinischen Behandlung die Krankheit an der Wurzel zu bekämpfen. „Experientia“ hingegen stützt die Arzneiauswahl auf empirische Erfahrungen; d.h. Rezepte werden ohne theoretischen Unterbau angewendet, einfach weil sie erfahrungsgemäß wirken.
Letzteres war auch das Vorgehen der Laienmedizin. Um sich von den Laien abzugrenzen und ihren Ärztestatus zu legitimieren, waren Ärzte in der Regel bemüht, die „rationale“ Herangehensweise als die sinnvollere hervorzuheben. Ähnliches tut Paracelsus, wenn er die Ursachenbehandlung als die „wahrere“ Medizin propagiert. „Experientia ist ohne Scientia nichts“ wird Paracelsus in diesem Kapitel schreiben. Allerdings weicht die paracelsische Beschreibung von „scientia“ (Wissenschaft) von dem üblichen Verständnis von „Wissenschaft“ ab. Damals wie heute meint „Wissenschaft “ oder „scientia“ die Ursachenforschung von Naturphänomenen und ist damit ein Konstrukt des menschlichen Geistes. Die paracelsische Kreativität jedoch lokalisiert sehr bildhaft die „scientia“ in die Naturobjekte selbst, bspw. in einen Birnbaum.
Die Aufgabe des Arztes ist es demzufolge, Zugang auf das „Wissen“ der Natur zu erhalten. Bewährte Rezepte hingegen haben ohne zugrundeliegende Theorien eine geringere intellektuelle Wertigkeit. In diesem Punkt stimmt Paracelsus mit der ansonsten so verachteten Gelehrtenmedizin überein. Nichtsdestotrotz wurden bewährte Arzneimittel von Ärzten angewendet. Solche Mittel hießen damals „experimenta“ und wurden in sogenannten „liber experimentorum“ gesammelt. Auch Paracelsus verwendet den Begriff „Experimentum“ für spezielle Arzneien gegen spezifische Krankheiten. Nur dass er dafür propagiert, solche Mittel auf Basis der „Scientia“ zu stellen.
Medizin ist nichts als eine große „Erfahrenheit“, schreibt er. Alles, was „gerecht und warhaft“ gefunden wurde, soll angenommen werden.
Aber die „Experienz“ kann nur mit der „Scientia“ gehen – ohne diese ist Erfahrung nichts. Mit Hilfe dieser Scientia kann das Ergebnis eines Experimentes in eine fundierte Erfahrung münden. Ein Experiment kann ohne Scientia durchgeführt werden, aber eine Experienz ist nur mit der Scientia möglich.
Die Beobachtung, dass „Scammonea“ (Purgierwinde) abführt, nennt Paracelsus – wie damals üblich – ein Experiment. Ebenso, dass „Sophia“ (Besenrauke) Brüche heilt und der Saphyr Milzbrand. Die Vielzahl der Krankheiten erzwingt, dass eine Scientia da sein muss, um zu wissen, an welcher Stelle die Heilmittel zu gebrauchen sind.
Ein Birnbaum, der Früchte trägt, tut dies aus der von Gott gegebenen Scientia heraus. Es stellt eine große Kunst dar, dass im Holz eine Scientia ist! Will hingegen ein Mensch etwas schreiben oder malen, braucht er Experientia und Experimente. Der Baum entwickelt von Natur aus Früchte, weil die Scientia in ihm verborgen ist. Wir wissen das, weil wir es sehen. Diese Erkenntnis stellt zwar ein Experiment dar, „aber die scientia ist nit bei uns“. Wohingegen ein Baum die Experientia hat.
Scientia scheint also für Paracelsus kein rationales Wissen darzustellen, da auch eine Baum sie innehat. Auf natürliche Weise folgt der Baum seiner Bestimmung durch Naturgesetze – insofern geht der Begriff „Scientia“ in die Richtung der heutigen Bedeutung als „Wissenschaft“.
Nun bringt Paracelsus wieder das Beispiel mit der Purgierwinde. Dass sie abführt, tut sie mit der von Gott gegebenen Scientia. Lernen wir von der Purgierwinde ihre Scientia, so dass diese „in uns“ ist, ist das Experientia mit Scientia. Wenn wir der Purgierwinde Wesen nicht kennen, ist es ein Experiment ohne Scientia. Dass sie „scheißen“ macht, wissen wir, aber sonst nichts. Wie ein Wort, das man nicht kennt. Ein Franzose, der Deutsch hört, weiß, dass es Deutsch ist, versteht es aber nicht. Sehen die Augen etwas, ohne zu verstehen, zeigen sie ein Experiment, aber verursachen keine Experienz.
Die Scientia ist verborgen in der Natur, muss aber heraus – also verstanden werden – sonst wäre sie uns nicht Nutze. Denn: „nichts ist so heimlich, das nicht offenbar werde“.
Offenbart wird Scientia durch die „Magica“! Die Magie ist für Paracelsus- ganz im Sinne einiger Strömungen der Renaissancephilosophie – eine Methode, um den Geheimnissen der Natur auf die Spur zu kommen. Hier zählt er drei Disziplinen auf: Medizin, Philosophie und Astronomie.
Die Scientia muss in uns sein, sonst ist alles „fantasei und tollerei“, ein Irrgang, großes Spekulieren „daraus die Fantasten wachsen.“
Der Unterschied zwischen Experientia und Scientia ist: Scientia ist in dem, dem sie Gott gegeben hat; Experientia hingegen ist eine Kunde. Der Birnbaum trägt Scienitia in sich, und wir „die wir seine Werke sehen (Birnen)“ erfahren Experientia seiner Scientia.
Die Scientia soll also in uns kommen. Die Kranken geben Auskunft durch das ärztliche Wirken an ihnen, sodass wir eine „perfekte Scientia“ erlangen. „was volkomen mit einem wissen in rechter ordnung der natur get“ ist Scientia, ohne diese ist es nur ein Experimentum. Wissen, das wir nur über Experimente erlangen ist zweifelhaft, aber mit Scientia wird es vertrauenswürdig. Also: Aus Scientia Gelerntes ist Experientia.
Eine Büchse (Gewehr), die eine Mauer zerschießt ist ein Experimentum. Das Zielen, sodass sicher getroffen wird und der Schuss nicht daneben geht ist die Scientia.
Die Gaben aller natürlichen Dinge sind Scientia. Gott hat Bäumen und Kräutern diese Gaben gegeben – und wie viel mehr dem Arzt, der die Kranken zu Gottes Ehre gesund macht. Gottes Gaben sind vollkommen, und so ist auch die Scientia. Sie geht aus Gott, wie die Kraft aus dem Weinstock.
Apfelbäume, Schlehen – alle haben ihre Scientia und auch jeder Mensch hat seine Gaben als Scientia, die er auf das „höchst bringen soll“ – auf den alchemistischen wirksamsten Grad, wie der Baum bis er auf seine Frucht kommt.
Der Mensch muss die Samen seiner Scientia treiben, „das seine frücht von im fallen als von einem baum“.“ein ietlicher sein besonder art hat“ – Jeder hat eine Gabe, mit der er geboren ist und die er fördern soll. Man soll nicht die Scientia der anderen Menschen übernehmen. Warum sollte der Birnbaum von der Schlehen lernen?
Kurz und gut: Es geht darum, den Birnbaum nicht nur äußerlich zu erkennen, sondern auch die „scientia rerum medicarum naturalium“.
Den Vitriolen (Schwefelsalze) hat Gott die „scientia vitriolata“ gegeben, die Kranke gesund macht. Diese Scientia muss „in uns selbst sein“, wie im Vitriol und zwar „imaginative imprimirt“. Was meint Paracelsus damit? Möglicherweise handelt es sich bei dem Erfahren der Wirkkräfte um einen meditativen Prozess, der sich weniger praktisch analytisch als intuitiv der Medizin nähert.
Einen Kranken gesund zu machen, ist Scientia, schreibt Paracelsus. Die ist aber als „scientia curandi“ in der Arznei und nicht im Arzt. Der Arzt muss die Scientia suchen und erfährt sie schließlich als „scientia administrandi“. Das Licht der Natur ist der Vermittler dieses Wissens. „also müssen die scientia der natur in dir sein als in der natur von der kraft impressionis ex lumine naturae, wo nicht, so ledelest du hin und her und weißt nichts als deines mauls geschwez“ – wie die nichtsnutzigen Arzneibücher.
Besser ein Arzt richtet sich nach diesem paracelsischen Buch, als dass er hinterm Ofen sitzt, Birnen brät und mit seiner sophistischen Logik die Kranken abfertigt!
7. Buch: die natürliche Apotheke und ihre Ärzte
Neben der Bedeutung als Geschäft, wo man Arzneien kauft, ist die Apotheke für Paracelsus ein Synonym für die Vielfalt der heilenden Kräfte in der Natur und zwar nicht nur in Pflanzen und Mineralien, sondern auch im Menschen als Selbstheilungskräfte.
Die Natur ist nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb des Menschen, so schreibt er zu Beginn des Kapitels.
Die Natur gibt die Apotheke in die Welt. Alle Matten (Almen), Wiesen, Berge und Hügel sind Apotheken – jede ist anders – wir müssen nur die Kräuter einsammeln und unsere Apotheken damit füllen.
Nun verhält es sich so, dass auch im Menschen eine Apotheke ist, in der Gutes und Böses nebeneinander liegen. Dazu hat der Mensch einen (metaphorischen) Arzt in sich, der die „Arzneien“ verbraucht, ordiniert und an die Orte im Körper bringt, wo sie gebraucht werden.
Der Mensch in seinem Beruf als Apotheker ist sichtbar; der „Apotheker“ der Natur ist unsichtbar. Der Mensch als „Mikrokosmos“und auch die „große Welt“ als Makrokosmos haben jeweils einen Apotheker und einen Arzt. Also jemanden, der die Arzneien im Angebot hat und jemanden, der sie zielgerichtet anwendet.
Die Arzneien sind wegen der Krankheiten erschaffen worden. Es gibt zwei Sorten Arzneien: die „äußerlichen“, die der Mensch herstellt, und die „innerlichen“, die die Natur hervorbringt.
Der Mensch ist von Geburt an mit Krankheiten beladen. Es wäre aber nicht möglich gesund geboren zu werden, gäbe es nicht den „inwendigen“ Arzt. Denn wo Krankheiten sind, gibt es auch Arzneien. Und beides – Krankheit und Gesundheit – sind von der Natur!
Was das eine zerbrechen will, richtet das andere wieder her. Die Krankheiten haben ein „Zeug im Leib“, das ihnen hilft, den Menschen krank zu machen. So wie ein Maurer Werkzeug zum Brechen hat; und ein anderer Maurer das Werkzeug zum Wiederaufbau. Auf ähnliche Weise haben wir einen „Destructor“ und einen „Konservator“ in uns. Der eine zieht die Zaunpfähle heraus, der andere steckt sie wieder rein! Bspw. nimmt der „Destructor“ im Körper den „Realgar“ (rotes Arsenik) und macht ihn damit krank, worauf der „Konservator“ mit „Floris Antimoni“ reagiert und den Körper heilt. So wie es auch in der „äußeren Welt“ die „Zanker“ und die „Befrieder“ gibt. Denn wo es Firmament und Elemente gibt, gibt es Frieden und Unfrieden.
Nur durch den äußeren Arzt – Paracelsus meint hier den Menschen im Berufsstand – bliebe nichts am Leben. Es muss unbedingt auch den „inneren“, unsichtbaren Arzt geben.
Im folgenden führt Paracelsus aus, wie beispielsweise Regen und Sonne jeweils Gutes, aber auch Schlechtes bewirken können.
Die Sonne erzeugt auf der Erde Dürre, wogegen die Feuchte des Regens hilft. Die Dürre ist hier wie eine Krankheit, der Regen wie eine Arznei. Zu viel Regen ertränkt aber auch, dann heilt die Sonne! So haben beide beides: Gutes und nicht Gutes!
Es wird auch viel Wassersucht (Ödeme) und viel Schwindsucht geheilt, ohne dass der Betroffenen es merkt! Dies geschieht durch die „angeborene“ Arznei – denn Gott behütet den Menschen!
Der Mensch ist zum Umfallen geboren! Und zwei heben ihn auf. Wenn der innere Arzt nicht mehr kann, hilft der äußere weiter durch die Arznei von der Erde.
Am Ende muss der Mensch aber sterben, dagegen gibt es keine Arznei.
Also: Wo der angeborene Arzt aufhört, fängt der äußere an!
Wo aber gefehlt wird und der Arzt nicht zur Tür ins Haus steigt, da ist Mühe, Arbeit und Schmerz!
8. Buch: „theorica medica“
Im zeitgenössischen Medizinstudium lernten die Studenten zunächst die „medicina theorica“, die wie bereits erläutert, die Zusammensetzung und Funktionsweise des menschlichen Körpers aus den vier Säften samt der Qualitäten „heiß/kalt/feucht/ trocken“ erklärt. Darüberhinaus lokalisierte man drei „Fakultäten“ im menschlichen Körper, die bestimmte Aufgaben übernehmen, als da wären: Seele und Verstand im Hirn; Lebensfunktionen im Herz und Kochung der Nahrung in Magen und Leber. Diese „rationalen“ Erklärungsversuche sprechen Paracelsus nicht an.
In diesem Kapitel möchte er erläutern, wie eine Medizintheorie zustande kommen sollte. Zunächst erklärt er den Begriff „theorica“, anhand der Theologie. Die Theologie nimmt ihre Theorien aus Gott. Deshalb redet und theoretisiert sie darüber, was sie in Gott findet und in ihm hat, wobei zur Theorie auch unbedingt die Praxis gehört!
Für die Medizin gilt: Die Arznei findet man in der Natur, die Krankheit im Patienten. Aus den zweien kommt die „theorica medica“, die „curae“ und „causae“, also Heilung und Ursachen der Krankheiten zum Thema hat.
Zu beachten ist unbedingt, dass jeder Medizintheoretiker „aus“ Gott reden muss, denn Gott ist „alles in allen“ und auch jegliche Medizintheorie ist von ihm. Gott hat Arzt und Arznei geschaffen und zwar vollkommen – wie es halt seine Art ist! Die Theorien von Heilung und Ursachen der Krankheiten sind von Gott geschrieben, gebunden und „an Ketten in seine Bibliothek gehängt“ und zwar ohne jeglichen Fehler und Betrug.
Die Instruktionen zu ihrem Verständnis kommen aus dem „Licht der Natur“. Nur dieses und kein Mensch und letztlich auch kein Buch kann uns unterrichten. Es verhält sich so wie mit dem ewigen Leben. Im Evangelium steht, dass wir Aussicht auf das ewige Leben haben. Es reicht aber nicht, auf dem Papier die Buchstaben zu lesen – wir müssen es auch aktiv weiter suchen. Gelehrt und geleuchtet wird es „von oben herab“. So verhält es sich auch mit der Arzneikunde. In Büchern stehen nur tote Buchstaben – aus dem „Licht der Natur“ kommt die Erleuchtung. Also: Verlasst euch auf die Illumination, die ausgeht von dem, der selbst das Licht ist.
Die Theorie der Medizin zeigt an Herkunft, Ursprung, Materie, Eigenschaft, Wesen und alle Anfänge, Verläufe und Enden einer jeglichen Krankheit samt Heilung und wie diese geschieht.
Wenn jemand einen Samen sät und weiß, was daraus erwächst ist das „theorica rustica“. Die „chirurgica theorica“ kennt Wunden und weiß, wie diese zu heilen sind. Bei Krankheiten verhält es sich so, dass sie auch aus Samen entstehen. Aus diesen erwachsen Krankheiten, wie fruchttragende Bäume. Alle Dinge erwachsen aus „Samen“, so kann bspw. ein Schwert ein Samen von Wunden sein. Ein Arzt muss die Samen der Krankheiten erkennen und verstehen, dann kann er von ihnen theoretisieren, wie ein Bauer von seinem Acker.
Viele haben schon geschrieben von Krankheiten und ihren Ursprüngen, aber es ist alles nichts wert! Verlasst die Säfte und theoretisiert von den Samen, sonst ist alles umsonst! Die Humores (Säfte der traditionellen 4-Säfte-Lehre) kommen von den Krankheiten und nicht umgekehrt!
Die Cholera ist bspw. aus einem Samen, der in die Galle eingefallen ist. Der gelbe Stuhl ist aus der Farbe der Gallen und nicht etwa die Galle selbst.
So wie ein Wein, der nach Erde schmeckt, nicht aus Erde ist, sondern aus Trauben. Diese wiederum sind aus dem Holz, dieses aus der Wurzel und diese am Ende aus einem Samen!
Wenn ein Patient mit Ödemen sagt, die Leber sei ihm erkaltet, deshalb habe er Wassersucht, ist das viel zu wenig! Vielmehr handelt es sich um einen „meteorisch samen“, der zu Regen wird. Der Samen destilliert sich von oben herab aus den „mediis interstitiis“ in die „unteren Teile“ und so wird aus dem Samen ein Wasser, ein Teich und dann ein See. So wie aus heiterem Himmel ein kleines Wölkchen sich formieren kann, das wächst und großen Regen und Hagel hervorbringt.
Der Grund der Arznei findet sich nicht in den überlieferten medizinischen Werken, sondern in den von Gott geschriebenen Büchern. Selig ist der Arzt, der in ihnen wandelt!
Ähnliches gilt im Übrigen auch für Theologie oder Jura. Gott ist in allen Dingen der „obrist scribent“. Der am Pfingsttag Geschickte (der Heilige Geist!) lehrt uns alle rechten Dinge, also auch Arznei, Philosophie, Astronomie. Nur aus dem können wir lernen, sonst ist „alles tot und on verstant“.
Aus heutiger Perspektive fällt Paracelsus damit hinter das rationale antike Procedere der Naturerkenntnis zurück. Der Fortschritt der griechischen Herangehensweise bestand darin, übernatürliches Einwirken auszuklammern und die Erscheinungen auf „natürliche“, „rationale“ Weise zu erklären. Dies schließt auch den Erkenntnisprozess mit ein, der auf „logische“ Schlüsse aufbaut. Während Paracelsus zwar in seinen Theorien Gott ausklammert, bleibt Gott im Erkenntnisprozess eine unumgängliche Größe. Bei Paracelsus nimmt „Gott“ wieder den Raum ein, den in der Antike rationale, logische Schlüsse besetzten.
9. Buch: Offenbarung
In diesem Kapitel schreibt Paracelsus von dem Herzstück der Methode zur Erkenntnis – der Offenbarung! Die Zusammenfassung liest sich wie eine Ode. Ich lasse die paracelsischen Gedankengänge, samt Wortwahl unkommentiert stehen. Das Verständnis ergibt sich sowieso mehr auf der intuitiven Ebene.
Der Grund der Arznei soll nicht durch den Kopf gehen, sondern durch „warhaftiges anzeigen und leren“. Krankheiten und Arzneien sind verborgen – sie werden nicht durch den irdischen, sondern durch den siderischen Körper gefunden, der in die Natur sieht, wie die Sonne durch ein Glas.
Die Dinge werden durch „magica“ offenbar und durch ihre „species“: „gaballiam und gabalisticam“. Mit diesen muss ein Arzt vertraut sein, sonst ist er ein „irrer“ und folgt mehr dem Betrug als der Wahrheit.
Die Magica ist „anatomia medicinae“. Wie ein Metzger den Ochsen zerlegt und man alles sieht, zerlegt Magica „alle corpora der arznei“, in denen die „remedia“ (Wirkstoffe) sind.
Wie im Menschen „die glider“ (Organe) sind, sind in Kräutern auch Glieder: Herz, Leber, Niere,… – aber nicht sichtbar, sondern als Kraft und Tugend.
So wie im Wind – keiner sieht, was an ihm trocknet.
So wie in der Sonne – keiner sieht, was an ihr wärmt.
So wie im Kiesel – keiner sieht, was an ihm Feuer gibt.
So hat auch das Kraut vielerlei unsichtbare Tugenden (Wirkstoffe).
So wie auch im Firmament sieben Glieder sind: Herz, Niere, Magen, Lunge … – als Kraft ohne Körper.
Im „lunatica“ (Geisteskrankheiten) ist der Lauf des Mondes als „spiritu“. Und im „spiritu“ liegt die Arznei, nicht im Leib!
„die hilf der kranken“ ist nur dem siderischen Körper offenbar. Also lernt nicht von Avicenna oder Galen, sondern aus Magica. Denn dem elementischen Leib sind nur Buchstaben – Form, Farbe, Figur – sichtbar.
Ein Arzt muss Magica lernen!
Wenn Bücher verderben, so bleibt die Arznei.
Seht nicht die Glieder der Hölzer, Kräuter, Rüben, sondern ihre Kraft!
Seziert man einen Menschen, so sieht man nur das „signatum“, aber nicht was da angezeigt wird. Dies zeigt nur „caballia“. Diese „kunst inventrix“ hat viele Wege. Die „membra und species“ müssen sichtbar werden „in der operation der astronomei“.
Wie das Feuer der Sonne durch einen Kristall sichtbar wird, so muss das magische Feuer durch „chalybem magicum“. Dann brennt die Anatomei und zeigt, was im Körper ist!
Der „mille artifex“ (eine Form des Teufels) hat viel Mühe gebraucht, um den Menschen das aus dem Gedächtnis zu brechen und hat gefördert „schwermerei und die andern gugelfur“ – unnütze Dinge.
Der nichts weiß, liebt nichts. Der nichts kann, versteht nichts. „der aber verstehet, der liebts, der merkts, der sichts“.
Der Mensch hängt – geführt vom „mille artifex“ – an dem was er weiß: „dem saufen, dem huren, dem spilen, dem krigen, der faulheit u.s.w.“ „der got nicht erkennt der liebt in nicht (…) der die trinitet nicht weißt, der glaubt sie nit, darumb liebet er sie nit (…) der die natur nit kent, der liebt sie nicht (…) – sein bauch ist sein got“
Je mehr Erkenntnis, desto mehr Liebe! Alle Dinge liegen in der Erkenntnis, daraus fließen die Früchte. Erkenntnis gibt Glauben!
Man glaubt, was man kennt. So ist es auch in der Arznei.
Erkennt man nicht, malt man nur ab wie ein Maler. Im gemalten Bild ist aber kein Leben.
Durch die „specibus der astronomei“ werden die „künst“ sichtbar gemacht.
So haben auch die drei Magier aus dem Orient, Christus „im sterne“ gefunden.
So wie Feuer im Kieselstein gefunden wird, so auch die „künst der natur“, die leichter zu finden sind, als Christus damals von den Königen.
„von orient aber gehen alle anfeng der magicae und von septentrione (Norden) get nichts guts“
Ärzte, seid nicht wie die Säue im Acker mit den Rüben, sondern wie Menschen, die Gottes Kreatur sind!
In diesem Kapitel wurde die paracelsische Überzeugung deutlich, dass Lebensfunktionen und Heilkräfte immaterieller Natur sind. Demzufolge kann auch nur über den „siderischen“ Körper – den nicht materiellen Teil unserer Existenz – Erkenntnisse über Heilkunde gewonnen werden. Dies geschieht mithilfe magischer Disziplinen.
Interessant ist hier die Rolle der „Liebe“. Offenbar spielt sie eine grundlegende Rolle im Erkenntnisprozess.
Genaue Vorgehensweisen, wie „Astronomie“ oder „Gaballia“ eingesetzt werden, werden leider nicht beschrieben. „Erkennen“ ist offenbar ein geistiger Prozesses. Es scheint so, als würde durch „Liebe“ zu dem Forschungsobjekt sich Wissen darüber offenbaren.
10. Buch: Arzneien
Genauer gesagt heißt die Überschrift dieses Kapitels: Wie die „prima materia“ der Arzneien in die „ultima materia“ kommt. An anderer Stelle im paracelsischen Werk sind „prima materia“ und „ultima materia“ Begriffe aus der Alchemie und bezeichnen das Ausgangs- und das Endprodukt eines alchemistischen Prozesses. In diesem Kapitel geht es aber nicht um die handwerkliche Arbeit eines Alchemisten, sondern darum, wie Arzneien im Körper dahin kommen, wo sie gebraucht werden. Dies steht im Zusammenhang mit der Frage, wie man die Verwendungsmöglichkeiten von Heilkräutern erkennt. Thema ist die später so genannte „Signaturenlehre“, die von Paracelsus nicht erfunden, aber aufgegriffen wurde. Demnach ähnelt das Aussehen einer Heilpflanze dem Körperteil, das sie heilt.
Alles, was wächst, schreibt Paracelsus, ist zunächst so gut wie nichts. Buche oder Tanne beispielsweise sind zuerst Samen, die in keinster Weise den Bäumen ähneln, die aus ihnen wachsen. Wird aber ein Same in die Erde gesetzt, beginnt er zu faulen und „zerbricht“. Diese Fäulung ist die „prima materia“. Erst in die Erde gesetzt empfängt der Sämling seinen „Anfang“. Im Gegensatz zu einem Kind, das bereits „mit ganzer form geboren“. Bei Gewächsen ist das anders. Wobei allerdings ein Kind im Mutterleib auch ähnlich heranwächst.
Wie die letztendliche Form langsam im Gewächs erscheint, so geht auch die innewohnende „Arznei“ auf. Ähnlich wie aus einem Wiegenkind ein laufendes Kind wird, das „aber zu nichts gebrauchsam“, ist es auch mit Gestalt und Wirkstoffen der Arzneipflanzen. Je größer ein Kind wird, desto verständiger wird es. Genauso verhält es sich mit Gewächsen, die kräftiger und stärker in Form und Tugenden werden. Im Alter nimmt alles wieder ab – bei Menschen, wie bei Pflanzen.
Die Form, also das Aussehen der Pflanzen ist sichtbar, körperlich und „elementisch“. Ihre Wirkstoffe hingegen sind unsichtbar, also geistiger, „siderischer“ Natur.
Jeder Arzt sollte sein „herbarium spiritualem sidereum“ haben und wissen, wofür die Arznei gut ist. Sobald die Arznei in den Körper kommt, wird sie in ihrer Essenz geistig („spiritualiter“). Wie ein Regenbogen am Himmel oder ein Bild im Spiegel.
So heilt ein Kraut namens „specula pennarum“ die Brüste der Frauen, denn seine Form ist die einer Brust mit Brustwarze. Und „dactilatus“ (Knabenkraut?) heilt Krebs, da seine Form das Kraut an den Ort seiner Wirksamkeit leitet.
Überhaupt können alle „chirurgikalische“ Krankheiten durch Arzneien geheilt werden, wenn der Arzt „anatomiam essentiae“ kennt.
In der zeitgenössischen Medizin wurde angenommen, dass bestimmte Zusätze in Arzneien die Wirkstoffe zum erkrankten Körperteil lenkt. Dem widerspricht Paracelsus vehement! Es ist also beileibe nicht so, dass Salbei, Lavendel oder Majoran die Wirkstoffe zum Kopf führen, „wie ein gleitsbot ein andern uberlant füret, der den weg nit weiß“.
Tatsächlich verhält es sich so, dass die Arznei durch die Kraft ihres Bildnisses sich selbst an den richtigen Ort führt. Beispielsweise hat „eufragia“ (Augentrost) die Erscheinung eines Auges und stellt sich nach der Einnahme „in die form des glits, also das eufragia ein ganz aug wird“. Dies gilt auch für Formen in Gesteinen, Metallen und Mineralien.
Wie ein Holzschnitzer Holz schnitzt, bereitet die Natur jeden Körper in seine Form.
Auch Nahrung, die wir aufnehmen, wandelt sich in Fleisch und Blut um. Der „spiritus vini“ steht wie ein Mensch im Menschen in allen Gliedern. Vermutlich meint Paracelsus hier, dass Alkohol den gesamten Körper in Mitleidenschaft zieht.
Die Kunst in der Arznei besteht darin, dass „homo spiritalis, essentialis, medicinalis an dem ort erkant wird“, wo die Kur liegt. Nun führt Paracelsus Krankheiten mit dem Zusatz „homo“ auf. Demnach gibt es „homo cancri, homo lupi, homo guttae, …“ Ich nehme an, Paracelsus spricht hier von dem Teil eines Heilmittels, das mit dem menschlichen Körperteil und seiner Krankheit korrespondiert.
Wichtig ist es für einen Arzt, die Arznei in ihrer „prima materia“ zu verstehen und wie sie in ihre „ultima materia“ kommt. „in der biltnus des spiritus sind die arcana (Wirkstoffe)“- Da liegt die wahre Kur!
Diese „Bilder“ gilt es für den Arzt zu suchen. Denn der „archeus“ (Meister) der Natur führt diese Spiriti in ihre Form.
Die „Kunst signata“ (Signaturenlehre) zeigt den Ort!
11. Buch: Philosophie
Mit „Philosophie“ meint Paracelsus das Wissen um die Korrespondenz zwischen Welt und Mensch. Es geht darum zu erkennen, dass beide aus vier Elementen bestehen. Die Kernbotschaft dieses Kapitels ist, dass alle Dinge, und demzufolge auch Krankheiten, aus einem Samen entstehen.
Die Alten hingegen, so beginnt Paracelsus, sagen, dass Krankheiten ihren Ursprung aus den vier „humores“ (Säfte) nehmen. Dabei ist der „rechte“ Ursprung ein Samen, aus dem die Krankheiten wachsen.
Der Mensch als Mikrokosmos hat die vier Elemente in sich. Diese werden vier „humores“ genannt, obwohl der Name „Element“ richtiger wäre.
Um die Entstehung von Krankheiten zu verstehen, ist dabei folgendes wichtig: Elemente können nicht von alleine empfangen, so wenig wie eine Frau ohne Mann nicht schwanger werden kann. „die elementen frauen“ empfangen von ihren „mannen“, „dem obern vulcanischen“. In dem Kapitel zur Alchemie haben wir Vulkanus als eine schöpferische Kraft kennengelernt, die Dinge in ihre vorbestimmte Existenz bringt. Hier wird die Facette des Vulkanus als ein erzeugendes Prinzip betont.
Als Erläuterung führt Paracelsus den Apfel an: Dieser wächst aus seinem Samen „und der sam ist der apfel und ist sperma vulcani“. Aber in den Elementen, den „matricem“ empfängt er Nahrung, Substanz, Form, Wesen, so dass er seiner Vorherbestimmung entsprechend wächst, wie ein Kind, das nach seiner Mutter kommt. Während Vulkanus das männliche Prinzip repräsentiert, stehen die Elemente offensichtlich für das weibliche.
Übertragen auf die Krankheiten bedeutet dies: Nicht die Elemente sind die Ursache, sondern ein Same, der in sie gesetzt wird. Geht der Same auf, erwächst eine Krankheit aus ihm. Erkennbar ist die Krankheit an ihren Früchten – so wie ein Baum. An ihren Früchten sind Krankheiten zu unterscheiden, so wie die verschiedenen Bäume auch.
Krankheiten sind nicht aus den „humoribus“, sondern aus einem „Vater“, obwohl sie von der „Mutter“ geboren werden. Sucht die Krankheiten nicht in der Mutter! Denn Kind und Mutter unterscheiden sich!
In dem Sinne sind Krankheiten also nicht „elementisch“. Die Ärzte irren sich, wenn sie meinen eine Krankheit zu vertreiben, indem sie das Element vertreiben. So lehrt die Philosophie das nicht! Ein Apfel ist aus einem Samen und nicht aus Erde!
Nimmt ein Arzt mit einer Arznei das Element weg, so nimmt er dem Kind die Mutter; der Leib verliert ein Element und ist tot! Das bedeutet ein „Erwürgen der Kranken“ und heißt die Philosophie nicht verstanden zu haben.
Jeder Samen hat eine Tinktur in sich, die Elemente färbt, so wie ein Tuch gefärbt wird. Am Beispiel Gelbsucht verdeutlicht: Wird die Farbe genommen, ist auch der Samen genommen, denn die Farbe kommt nicht von dem Leib, sondern vom Samen.
Die zeitgenössischen Medizin vermutete, dass aus „fauler“ Luft und faulem Wasser Krankheiten entstehen. Dem widerspricht Paracelsus nicht, nichtsdestotrotz sind es Samen, die „korrumpieren“ und den Leib „zerbrechen“, „wie ein schnewasser das eisen“. Wird der Samen genommen ist auch die „corruption“ (Fäulung) weg.
Als nächstes Beispiel führt Paracelsus die Entstehung von Würmern und Käfern an. Im 16. Jhdt. herrschte allgemein die Vorstellung, dass Insekten und Würmer im Schmutz quasi aus dem Nichts entstehen. Die geschlechtliche Fortpflanzung auch von wirbellosen Tieren war zumindest in Gelehrtenkreisen unbekannt. Auch Paracelsus ahnt davon nichts, nimmt aber an, dass diese Wesen aus Samen entstehen – und nicht aus Kot. Es ist nicht so, dass der Kot sich verwandelt, „sondern es gebirt sich ein samen im kot“, woraus Käfer „durch die vulcanisch digestion“ wachsen. Rosskot ist etwas anderes als Käfer!
Kurz und gut: Gegen die Krankheitssamen muss der Arzt die Arzneien verordnen. Es gibt dabei zwei Samentypen: den „sam iliastrum“ und den „sam cagastrum“. Der „iliastrische“ Samen ist von Anfang an erschaffen, wie Apfel, Nuss oder Birne. Der „cagastrische“ Samen hingegen entsteht aus „corruptio“. Offenbar unterscheidet Paracelsus zwischen Samen, die in Fruchtkörpern sichtbar sind, und Samen, die sich durch einen Fäulnisprozess materialisieren.
Demzufolge lassen sich auch Krankheiten einteilen: Wassersucht, Gelbsucht oder Gicht sind iliastrisch. „Pleurisis“, Pest und Fieber sind cagastrisch.
Bei einem Fehler in der Arzneikunst handelt es nicht nur um einen unbedeutenden Irrtum, sondern es geht um Leib und Leben. Alle Rezepte, die nicht gegen Samen gerichtet sind, sind falsch!
Dass Krankheiten aus Samen entstehen, sieht man auch daran, dass Krankheiten wachsen und täglich zunehmen, wie Gras und Gehölze.
Erkennt die Krankheiten, wie ein Bauer die Bäume! Und benutzt die Arzneien, wie ein Bauer die Axt gegen den Baum!
Die Kunst liegt darin, Vulkanus in großer wie in kleiner Welt zu erkennen. Wir können nicht mehr von Galen und Avicenna lernen, denn zu ihrer Zeit war alles anders als jetzt. Was sie geschrieben haben, ist kein Evangelium, das man wie die Seligkeit hoch halten muss. Das „Licht der Natur“ gab es allerdings auch schon damals, aber es wurde nicht verstanden, sondern „verkert wider die natur“. Wie soll auch ein gutes Gestirn in einem tollen Esel etwas Gutes hervorbringen?
Sucht zuerst das Reich Gottes und verzweifelt nicht an Gott, unserem obersten Arzt! Wenn wir Gott und unseren Nächsten lieben, bekommen wir alles. Vergessen wir aber die Liebe, so „wird uns genommen“.
Der Arzt wird am Tag des Jüngsten Gerichts von Gott besehen und in das ewige Feuer geschickt werden, wenn er Gott verlassen hat.
Also: Sucht den Schatz nicht auf Erden, sondern im Himmel. Ergründet Gottes Werke in der Natur und handelt nicht leichtfertig!
Beschlussrede
In seiner Beschlussrede fasst sich Paracelsus vergleichsweise kurz.
Er begründet nochmal, warum er diese Schrift geschrieben hat. Es war nötig, weil viel Falsches über Arznei und Kur geschrieben worden ist. Es ist „übel gehandelt“ Falsches zu schreiben, wo es „leib und leben berürt“. Am Ende praktizieren die Ärzte dann „erdichten fantasei“.
Vielmehr ist es angemessen den Dingen auf den rechten Grund zu gehen und das geht nur durch das „Buch“, das Gott gegeben hat.
Selig ist der, der auf Gottes Wegen wandelt und nicht in „menschen erdichtung“. Wer sich auf Gott verlässt, wird in kein Labyrinth geführt. Paracelsus hat sich kurz gefasst, damit jeder versteht, was der Arzt meint, der nach dem Licht der Natur geht.
Paracelsus ist bisher von den Hochgelehrten verhindert worden. Denn niemand will aus den rechten Büchern lernen, sondern „nur im papir die birnen braten“.
Glücklicherweise gibt es jetzt einen Mäzen für dieses Buch: Das Erzherzogtum Kärnten! Leser seid ihm dankbar!
Fazit
Nach etlichen fehlgeschlagenen Versuchen Verleger für diverse Schriften zu finden, hofft Paracelsus nun auf die Landsmannschaft des Herzogtums Kärnten. Vermutlich wurde von höherer Stelle zugesagt, das Buch „Labyrinthus medicorum“ in den Druck zu bringen, womit sich die Danksagung erklärt. Leider sollte sich auch diese Hoffnung zerschlagen. Die erste Drucklegung erfolgte erst Jahrzehnte nach seinem Tod.
Im „Labyrinthus medicorum“ zeigt sich Paracelsus überzeugt, von einem göttlichen, natürlichen Licht seine Wissenschaft offenbart zu bekommen. Dringende Appelle an den Leser ihm zu glauben, verknüpft Paracelsus mit der Aufforderung den Schatz im Himmelreich zu suchen. Dies geht bis zur Drohung, dass Ärzte, die nach der falschen Lehre praktizieren beim Jüngsten Gericht zum Schmoren im ewigen Feuer verdammt werden. Paracelsus begründet dies allerdings mit der Verantwortung für Leib und Leben, die Ärzte zu tragen haben. Ein wesentlicher Faktor zum Verstehen von natürlichen Vorgängen ist für Paracelsus die „Liebe“ zu den Untersuchungsobjekten.
Seine Medizintheorie reibt sich mit der universitären Auffassung, nach der die Gesundheit durch das Ineinandergreifen von vier Körpersäften aufrecht gehalten wird. Die Kombination der „Qualitäten“ kalt/ warm/ feucht/ trocken justiert dabei die Lebensfunktionen. Diese Auffassungen findet Paracelsus unhaltbar.
Im „Labyrinthus medicorum“ legt er seine Konsequenzen aus der Annahme dar, dass der Mensch als Mikrokosmos die gesamte „große Welt“ in sich trägt. Es sind Firmament und Elemente, die sich im Menschen wiederfinden. Dies bedeutet, dass heilende oder auch krankmachende Wirkstoffe, nicht nur in Kräutern und Mineralien, sondern auch im menschlichen Körper vorhanden sind, wo sie um Krankheit und Gesundheit ringen.
Der „Same“ als Ursprung von natürlichen Dingen wird auch als Urheber von Krankheiten ausgemacht. Die Anerkennung von Krankheiten als spezifische Wesenheiten war auch schon in der zeitgenössischen Medizin präsent und führte in der Behandlung zu der Anwendung von „Spezifica“, bzw. „Experimenta“, worunter man Arzneimittel verstand, die bei jeweils spezifischen Krankheiten helfen. Dieser Ansatz nahm im Laufe des 16. Jhdts immer mehr Raum ein; möglicherweise befeuert durch „Paracelsisten“, die einige Jahrzehnte nach Paracelsus`Tod sich auf diesen beriefen. Allerdings, soweit ich das beurteilen kann, taucht die Idee des „Krankheitssamens“ im „Labyrinthus medicorum“ bei Paracelsus zum ersten Mal auf.
Die Ablehnung der traditionellen Lehre zieht sich durch alle paracelsischen Bücher in den rund 15 Jahren der schriftstellerischen Aktivität; konkrete Theorien zu Krankheitsursachen variieren jedoch je nach Schrift. So wird einmal das Zusammenspiel der drei Prinzipien im menschlichen Körper als potentiell krankmachend proklamiert; in anderen Werken können auch Gifte aus Sternen, Verhexungen oder göttliche Strafen Krankheiten auslösen.
Demgegenüber sind die „Krankheitssamen“ ein übersichtliches und auch einleuchtendes Konzept. Sie werden von einem schöpferischen, männlich gedachten „Vulkanus“, in die weiblich gedachten Elemente gepflanzt, wo sie ernährt werden, wachsen und zu ihrer Bestimmung erlangen.
Was konkrete Praktiken anbelangt, bleibt Paracelsus vage. Er schöpft in seinen Beispielen durchaus aus seinem reichhaltigen Wissen über Heilpflanzen und Mineralien, weist den Leser aber immer auf die Notwendigkeit hin, Eigeninitiative zu ergreifen und selbst mit Hilfe magischer Disziplinen, geleitet durch das „Licht der Natur“ sich um göttliche Offenbarung zu bemühen.
Nähert man sich der paracelsischen intuitiven Herangehensweise wohlwollend, so kann man in mancher Vorstellung durchaus einen wahren Kern finden. Dass Sterne und Kosmos sich in uns wieder finden, ist auf der atomaren Ebene ja tatsächlich so. All die Atome, aus denen wir bestehen, kommen letztendlich aus dem All. Das Konzept „Naturgesetze“ ist Paracelsus fremd, aber dass sowohl innerhalb wie außerhalb des menschlichen Körpers gleiche Regeln gelten, wäre eine Konsequenz seines Weltbildes.
Für viele Krankheiten ist ein Bakterium oder ein Virus die Ursache – eine Art „Krankheitssamen“, wenn man so möchte. „Liebe“ ist auf jeden Fall der Heilung förderlich. Und die Natur hat dem menschlichen Körper mächtige Selbstheilungskräfte mitgegeben.
Der Titel „Vom Irrgarten der Ärzte“ passt wirklich gut zu dieser Schrift. Auch wenn Paracelsus damit seine irrenden Zeitgenossen meinte, mäandert er selbst auch labyrinthisch durch Kosmos, Natur und Christentum.
Quellen
„Labyrinthus medicorum errantium“ in: Karl Sudhoff „Theophrast von Hohenheim, gen. Paracelsus, Sämtliche Werke, Abteilung I, Medizinische, naturwissenschaftliche und philosophische Schriften, Bd.11, S.161 – 212
Zur zeitgenössischen Medizin:
Michael Stolberg: „Gelehrte Medizin und ärztlicher Alltag in der Renaissance“, de Gruyter, 2022